Strategien zur Optimierung des Lampenfiebers

Eines vorweg: Es gibt nicht die eine Strategie für den Umgang Lampenfieber. Viele Musiker und Schauspieler leiden Zeit ihres Lebens darunter. Sie erleben bessere und schlechtere Phasen. Tendenziell besteht aber die Chance, dass sich Lampenfieber mit zunehmendem Alter und Anzahl positiver Auftrittserfahrungen verbessert.

Das Ziel aller Strategien sollte sein, das Lampenfieber so zu optimieren, dass es Ihnen beim Auftritt hilft und Sie Spaß am Moderieren gewinnen.

Allerdings braucht dies Zeit und Gelegenheiten. Falls Sie nur gelegentlich moderieren oder gerade anfangen, sollten Sie Redechancen ergreifen. Möglicherweise gibt es in Ihrem Job Aufgaben, bei denen Sie diesbezüglich gefordert sind, wie etwa Besprechungen, Meetings, Präsentationen. Melden Sie sich zu Wort, stellen Sie Fragen und üben Sie, souverän Ihr Anliegen vorzutragen.

Im ersten Schritt sollten Sie sich ein Ziel setzen. Was genau möchten Sie erreichen? Formulieren Sie positiv und chancenorientiert. »Ich möchte weniger Lampenfieber haben«, ist wenig konkret. Besser wäre: »Ich möchte langsam sprechen.« Oder: »Ich möchte ein guter Gastgeber sein.« Ihre Ziele sollten realistisch sein – erfahrungsgemäß verabschiedet sich das Lampenfieber in kleinen Schritten. Bedenken Sie, dass die meisten Techniken Wochen vorher eingeübt werden müssen, um in der konkreten Situation abrufbar zu sein.

Ich habe Ihnen einen kleinen Handwerkskoffer mit Maßnahmen zusammengestellt, die zum Einsatz kommen können. Sie stammen zum Teil aus Büchern, von Kollegen und natürlich aus meiner Trainingspraxis. So individuell wie der Verlauf des Lampenfiebers, so ist auch die Wahl der Mittel.

Probieren Sie aus, was Ihnen als passend erscheint. Mein Handwerkskoffer zur Optimierung des Lampenfiebers umfasst vier Ebenen.

 

Erstens: die psychologische Ebene

Analyse und Verständnis: Lampenfieber ist eine psychologische Erscheinung. Deshalb sollte es zu allererst auf dieser Ebene bearbeitet werden. Schon allein die Analyse und das Verständnis, dass Lampenfieber eine natürliche Reaktion ist, nimmt ihm etwas von seiner Kraft und seinem Schrecken. Angst ist eine überlebenswichtige Emotion. Sie warnt uns vor Gefahren, lässt uns Risiken abschätzen und macht leistungsfähig. Die Angst gehört genauso zu uns wie der Mut. Akzeptieren Sie zunächst Ihr Lampenfieber.

Auslöser erkunden: Manche Moderatoren kämpfen zeitlebens gegen Auftrittsangst, bei anderen gab es einen konkreten Auslöser. Interessant für die weitere Bearbeitung ist herauszufinden, wann das Lampenfieber zum ersten Mal aufgetreten ist. Was war das für eine Situation? Reflektieren Sie die Entwicklung Ihres Lampenfiebers im Selbstcoaching und machen Sie sich Notizen. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Lampenfieber lernen Sie, sich besser zu verstehen.

Selbstwert und innere Kritiker: Der häufigste Grund für starkes Lampenfieber sind geringer Selbstwert und überzogene Perfektionsansprüche. Beim Moderationskonzept dürfen Sie gern perfektionistisch sein, beim Auftritt jedoch liegt der Perfektionismus sinnbildlich wie ein großer Stein mitten auf der Bühne und sorgt für enormen Stress. Wenn Sie zu den Menschen gehören, denen auf der Bühne ständig der innere Kritiker dazwischenfunkt, sollten Sie ein klärendes Gespräch mit ihm führen. Verbannen Sie ihn hinter die Bühne und lassen sie ihn dort sitzen. Ein Teilnehmer meiner Seminare sperrte seinen inneren Kritiker einmal erfolgreich auf der Toilette ein.

Stärken stärken: Im nächsten Schritt analysieren Sie, was Sie wirklich stärkt. Fragen Sie sich: Was macht mich aus? Wo liegen meine persönlichen Stärken? Werden Sie sich darüber klar, was Sie Ihren Gästen von sich zeigen wollen und was nicht. Zusätzliche Unterstützung können Sie sich bei Ihrem Partner oder bei Freunden holen, die bereits bei Ihnen zu Gast waren. Fragen Sie sie, was sie an Ihnen als Gastgeber schätzen. Vielleicht ist es die Art, wie Sie Geschichten erzählen oder die Herzlichkeit, mit der Sie sich um Ihre Gäste kümmern.

Eine gute Beziehung zum Publikum senkt Lampenfieber: Dies führt direkt zum nächsten Punkt: die Beziehung zu den Gästen. Vielfach hängt Auftrittsstress mit einem erhöhten Erwartungsdruck zusammen. Sind die Gäste prominent? Hängt viel für Sie vom Ergebnis der Veranstaltung ab? Setzen Sie Ihre eigenen oder fremde Erwartungen unbewusst unter Druck? Ganz oft wird unser Denken und Handeln von Glaubenssätzen aus der Kindheit beeinflusst! Diese lauten beispielweise: »Mach es allen recht!«, »Sei perfekt!«, »Du wirst geliebt, wenn du eine gute Leistung bringst!« – Hinterfragen Sie diese Glaubenssätze und reflektieren Sie das Handlungsmuster, das dadurch auf der Bühne entsteht.

Ein guter Draht zum Publikum hilft wesentlich, Auftrittsangst loszuwerden. Machen Sie eine Probe, wie bereits beschrieben. Nehmen Sie Kontakt zu Ihren Zuschauern auf, indem Sie den Small Talk vor der Veranstaltung beziehungsweise Ihrem Auftritt diesbezüglich nutzen. Während der Moderation fördern interaktive Elemente den direkten Dialog und intensivieren damit die Beziehung zu den Zuschauern. Wenn Sie statt auf der Bühne mitten im Publikum moderieren – kreative und interaktive Veranstaltungsformate lassen hier entsprechend Spielraum – entsteht eine größere Nähe zum Publikum. Vielen Moderatoren hilft das, weniger Lampenfieber zu empfinden.

Probieren Sie den Perspektivwechsel aus. Wenn Sie bei nächster Gelegenheit einmal selbst Zuschauer sind, beobachten Sie Ihre Gedanken: Wie überkritisch oder wohlwollend bin ich dem Redner gegenüber? Beim nächsten Anflug von Lampenfieber können Sie die Gedanken aus dieser bewussten Zuschauererfahrung mit Ihren Ängsten als Moderator abgleichen.

 

Zweitens: die physiologische Ebene – Entspannen Sie Ihren Körper

Den Körper erkunden: Zur Optimierung des Lampenfiebers ist es sehr wichtig, sich mit dem eigenen Körper auseinanderzusetzen. Denn schließlich beeinflussen körperliche Symptome über das Fühlen wesentlich unser Empfinden auf der Bühne. Ein gutes Körperbewusstsein gibt Sicherheit beim Auftreten vor Publikum. Aus der Stressforschung wissen wir, dass Ausdauersport und Bewegung Stresshormone abbauen. Nutzen Sie diese Erkenntnis, indem Sie vor Ihrem Auftritt eine Runde joggen, schwimmen oder 20 Minuten zügig gehen. Yoga, Tai Chi, Pilates oder beispielsweise progressive Muskelentspannung helfen ebenfalls, Stress zu reduzieren. Ein Entspannungsprogramm ist auch wirksam, wenn Sie es schon einige Stunden vor dem Auftritt absolviert haben.

Mit Bewegungen Erleichterung verschaffen: Für den Moment hinter der Bühne bringen schon kleine Bewegungen Erleichterung. Gehen Sie auf und ab und schwingen Sie die Arme wie Pendel. Sie können sich sicher sein, dass Sie niemand komisch anschaut. Im Gegenteil, Sie sind professionell und bereiten sich optimal auf Ihren Auftritt vor.

Bewusst Atmen: Atemübungen können ein weiterer Schlüssel sein, um Lampenfieber abzubauen. Bei einem Versuch mit Konzertmusikern kam heraus, dass die Ängstlichen einen deutlich niedrigeren CO2-Wert in der ausgeatmeten Luft hatten. Ein Zeichen, dass sie in der Auftrittssituation hyperventilieren, also mehr Luft einatmen, als ihr Körper benötigt. Mit Übungen, die sich vor allem auf das Ausatmen konzentrieren, beugen Sie dieser Situation vor.

 

Drittens: die kognitive und mentale Ebene

Vorstellungskraft trainieren: Gedanken sind Kräfte. Je mehr negative Gedanken bei einem Auftritt im Kopf herumschwirren, desto aufgeregter werden wir – und umso eher besteht die Möglichkeit, dass tatsächlich etwas schiefgeht. Wenn ein Moderator ständig denkt, dass die Veranstaltung eine Nummer zu groß für ihn ist, wird er am Ende wie ein armes Würstchen auf der Bühne stehen (selbsterfüllende Prophezeiung). Die menschliche Vorstellungskraft ist eine mächtige Fähigkeit. Immerfort stellen wir uns etwas vor das geistige Auge und lassen daraus eine lebendige Welt entstehen. Was wir denken, beeinflusst derart stark unsere Gefühle und unseren Körper, dass wir allein mittels Gedanken Veränderungen auslösen können. Wie das funktioniert, können Sie ganz leicht in einem kleinem Selbstversuch überprüfen: Stellen Sie sich intensiv vor, in eine eiskalte Zitrone zu beißen. Schließen Sie die Augen, führen Sie die Frucht an die Lippen, riechen Sie die Säure und jetzt beißen Sie hinein und spüren Sie den sauren Saft. Läuft Ihnen das Wasser im Mund zusammen?

Die positive Auftrittserfahrung: So leicht wie sich durch die Vorstellungskraft die Speichelproduktion im Mund aktivieren lässt, kann eine positive Auftrittserfahrung imaginiert werden. Der Moderator, der sich zu klein fühlt, könnte sich in seiner Vorstellung größer machen, sich vom Publikum feiern lassen und so sein Lampenfieber positiv beeinflussen. Es gibt eine ganze Reihe mentaler Übungen, die nachgewiesenermaßen wirken: autogenes Training (nach Schultz), Meditation, Gedankenreisen und imaginative Verfahren.

Mentalübung: Das Gute ist, Angst und Freude sind im gleichen emotionalen Zentrum im Gehirn verankert. Demzufolge können wir nie zwei gegensätzliche Emotionen gleichzeitig haben. Mit der folgenden Mentalübung können Sie Ihr Gehirn von der Emotion »Angst« auf »Freude« umprogrammieren.

Einschub:

Setzen Sie Ihre Fantasie richtig ein! Ankerübung Siegersituation

Setzen Sie sich bequem hin und schauen Sie, dass Sie ungestört sind. Legen Sie sich einen Stift und ein Blatt Papier bereit, beides brauchen Sie am Ende der Übung. Nun lesen Sie bitte zuerst diese Anleitung und legen Sie anschließend das Buch weg, damit Sie sich während der Übung voll und ganz auf sich selbst konzentrieren können.

Anleitung

Versetzen Sie sich in eine Situation, in der Sie erfolgreich waren und sich als Sieger gefühlt haben. Visualisieren Sie dieses Erfolgserlebnis vor Ihrem geistigen Auge. Nehmen Sie das erste Bild, das Ihnen in den Kopf kommt – selbst wenn dieses Erlebnis Jahre zurückliegt, möglicherweise in Ihrer Kindheit.

– Was genau sehen Sie? Schauen Sie sich dabei auch die Details des Erlebnisses an.

– Wie fühlt sich diese Situation körperlich? Wie ist die Muskelspannung, wie Ihr Atem?

– Was riechen Sie?

– Was hören Sie als Sieger? Welche Geräusche, Klänge, Stimmen nehmen Sie wahr?

– Wie ist der Geschmack auf der Zunge?

– Welches Bild verbinden Sie mit dieser Situation?

Nehmen Sie Zettel und Stift und malen Sie Ihr Bild auf. Es braucht kein Meisterwerk werden. Die Hauptsache ist, Sie wissen, was damit gemeint ist. Dieses innere Bild ist Ihr Anker als Sieger. Wenn Sie diese Übung regelmäßig machen, können Sie Ihr Gehirn auf die positiven Emotionen Ihrer Siegersituation programmieren. In Situationen, in denen Lampenfieber auftaucht, konzentrieren Sie sich auf dieses Bild.

Behalten Sie die Kontrolle: Stress ist immer subjektiv. Er hängt nicht mit der Menge an Arbeit oder Informationen zusammen, die ein Mensch zu bewältigen hat, sondern von der Kontrolle. Experimente haben gezeigt, dass Menschen immer dann gestresst sind, wenn Sie die Kontrolle über eine Situation verlieren.

Bei einer Moderation behalten Sie die Kontrolle am leichtesten, wenn Sie gut vorbereitet sind und in Ihrem Kopf Klarheit über Inhalt und Ablauf herrscht. Wenn Sie genau wissen, was Sie erzählen wollen und eine glasklare Struktur für Ihre Moderation haben, reduziert sich automatisch der Stress. Nutzen Sie dazu die Techniken, die ich Ihnen für die Vorbereitung einer Moderation empfohlen habe. Sprechen Sie frei und erzählen Sie in Bildern. Bauen Sie Objekte in die Moderation ein. Nicht nur, um Ihre Rede interessant zu gestalten – in Bezug auf Lampenfieber wirken sie wie ein mentaler Anker. Sie haben etwas in der Hand und brauchen nur beschreiben, was sie sehen.

Entwerfen Sie sich ein für Sie logisches Skript, in dem Sie nur Stichworte auf Ihre Moderationskarten übertragen, zu denen Sie locker loserzählen können. Achten Sie allerdings darauf, dass Sie Ihre Moderationskarten gut lesen können. Allein die Vorstellung, dass Sie auf die Karte schauen können, falls Sie einmal nicht weiter wissen, beruhigt Ihre Nerven.

Eine einfache Möglichkeit Aufregung abzubauen ist, sie auszusprechen. Ich habe oft im Training erlebt, dass es sehr entlastend für Menschen mit Lampenfieber ist, wenn sie offenbaren, dass sie ein bisschen nervös sind. Damit lassen Sie erkennen, dass Ihnen Ihre Gäste etwas bedeuten. Sie sind ehrlich und zeigen Gefühle. Das macht sie sympathisch. Niemand wird Sie deshalb auslachen oder kritisieren.

 

Viertens: die organisatorische Ebene – Rituale machen stark

Die beste Vorbereitung geht zunichte, wenn vor Ort das blanke Chaos herrscht. Wenn Sie die Veranstaltung selbst organisieren, brauchen Sie Menschen, die Sie unterstützen, damit Sie sich ganz auf Ihre Moderation konzentrieren können. Wenn Sie als externer Moderator auf der Bühne stehen, machen Sie Ihrem Veranstalter schon im Vorfeld klar, was Sie benötigen, um einen guten Job zu machen: Sei es ein Garderobenraum als Rückzugsort oder ein bestimmtes Zeitfenster, in dem Sie die Referenten zumLast-Minute-Briefing treffen möchten. Versuchen Sie, Ihren Auftritt nach allen Möglichkeiten stressfrei zu organisieren und sich eine Umgebung zu schaffen, in der es Ihnen gut geht.

Anreise: Das beginnt damit, dass Sie nicht auf den letzten Drücker anreisen. Ich rate Ihnen, mindestens zwei, besser drei Stunden vorher am Veranstaltungsort einzutreffen. Das lässt Ihnen ausreichend Zeit, um sich mit den Örtlichkeiten vertraut zu machen. Sie können sich in Ruhe die Bühne anschauen, mit den beteiligten Personen besprechen und Abläufe durchgehen.

Eine Technik- und Bühnenprobe gehört sowieso zum Pflichtprogramm. Denn sie gibt Ihnen Vertrauen und Sicherheit für den Ort, an dem Sie Ihren großen Auftritt haben.

Konzept beibehalten und auf den Auftritt konzentieren: In der Stunde vor Ihrem Auftritt sollte es keine Hektik, keine Diskussionen und keine grundsätzlichen, inhaltlichen Änderungen am Konzept geben. Wenn kurzfristig die Reiseroute geändert wird, heißt das für den Reiseleiter Stress pur. Auch sollten Sie nicht bis zur letzten Sekunde mit Gästen und Kollegen plaudern, E-Mails checken oder WhatsApp-Nachrichten versenden. Sie brauchen 100 Prozent Konzentration, um eine hochkomplexe Leistung wie Moderation zu erbringen.

Rituale: Die meisten professionellen Bühnenkünstler haben Rituale vor Ihrem Auftritt. Diese immer gleichen Abläufe geben Sicherheit und machen stark. Viele ziehen sich zehn bis 15 Minuten vor Ihrem Auftritt zurück, um sich zu sammeln und auf ihren Auftritt zu fokussieren. Die eine hat einen MP3-Player dabei und hört immer das gleiche Musikstück. Der andere geht hin und her und macht Atemübungen. Der Moderator Florian Silbereisen erzählte in einem Interview, dass er seine Nervosität mit Sport vertreibt. Auf einer Isomatte hinter der Bühne macht er kleine Übungen zum Aufwärmen.

Dann zieht er sich noch einmal kurz in die Garderobe zurück, bevor es losgeht.

 

Quelle: Diese Veröffentlichung ist Teil einer Kooperation mit der Verlagsgruppe Beltz. Der Beitrag ist erschienen in: Nicole Krieger: Die Gastgeber-Methode. Konferenzen, Tagungen, Veranstaltungen, Diskussionen kompetent und erfolgreich moderieren, Beltz 2017, S. 163-170.

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