Im New Work Zeitalter soll ein Vorgesetzter nicht mehr nur kontrollieren und sanktionieren – er soll den Mitarbeiter wertschätzen und angemessen unterstützen. So weit, so richtig. Doch was ist von Ansätzen zu halten, in denen der Vorgesetzte explizit eine Coaching-Rolle einnimmt? Kann das gut gehen? Alexander Witt, Psychologe und Business Coach, gibt Antworten auf diese Fragen.
Grundsätzlich gibt es deutliche Unterschiede zwischen einem Coach und einer Führungskraft: Der Coach arbeitet mit dem Coachee auf Augenhöhe und freiwilliger Basis zusammen. Der Fokus liegt auf den persönlichen Zielen des Coachees, dabei wird großer Wert auf Offenheit und Neutralität gelegt. Eine Führungskraft agiert im Gegensatz dazu aus einer Machtposition heraus und hat vor allem die Ziele des Unternehmens im Blick – Offenheit und Neutralität sind damit nur sehr bedingt möglich.
Das Dilemma
Somit lässt sich schon erahnen, welche Probleme eine Doppelrolle als Chef und Coach birgt. Bestimmte Themen werden in einem Coaching mit dem eigenen Vorgesetzten aus Sorge vor negativen Konsequenzen mit hoher Sicherheit nicht zur Sprache kommen. Denn wer möchte vor seinem Chef zugeben, dass ihn bisweilen Selbstzweifel plagen oder er schlaflose Nächte wegen eines ungelösten Konflikts mit Mitarbeiter XY hat? Auch die Unzufriedenheit mit dem Führungsstil des Vorgesetzten kann unter solchen Umständen kaum angesprochen werden. Schließlich muss die Führungskraft den Mitarbeiter im Hinblick auf seine Eignung für höhere Aufgaben regelmäßig beurteilen – ein Rollenkonflikt ist somit vorprogrammiert.
Wie kann es klappen?
Dennoch kann ein solches Coaching unter bestimmten Umständen funktionieren. Eine grundlegende Voraussetzung ist, dass ein enges Vertrauensverhältnis zwischen Chef und Mitarbeiter vorliegt. Außerdem sollte das Coaching auf freiwilliger Basis erfolgen und den Angestellten nicht als Standardprozedere von oben aufgezwängt werden. Inhaltlich bietet sich ein Fokus auf berufliche Fragestellungen an – beispielsweise, wenn der Mitarbeiter neu im Unternehmen ist oder mit neuen Abläufen vertraut gemacht werden soll. Auch bei aufstrebenden Führungskräften, die zum ersten Mal in eine leitende Position befördert werden, kann ein Coaching durch einen erfahrenen „alten Hasen“ Sinn ergeben. Für den coachenden Vorgesetzten gilt in jedem Fall: Er sollte über eine fundierte Coaching-Expertise sowie gute (Selbst-)Reflexionsfähigkeiten verfügen. Außerdem ist eine regelmäßige Supervision – möglicherweise durch externe Coaches – für ihn unerlässlich.
Wann ist es kontraproduktiv?
Auf der anderen Seite finden sich genügend Beispiele, wo dringend von einem Coaching durch den Chef abzuraten ist: Insbesondere bei privaten Themen, die häufig in die berufliche Ebene mit hineinspielen und ein hohes Maß an Selbstoffenbarung erfordern, sollte ein unabhängiger Coach zu Rate gezogen werden. Auch allgemeine Fragen der Persönlichkeitsentwicklung sind bei Vorgesetzten nur bedingt gut aufgehoben: In beiden Fällen kann die mangelnde Neutralität des Chefs einen erfolgreichen Coaching-Prozess verhindern. Ebenso gestaltet es sich schwierig, wenn Coaching-Ziele des Mitarbeiters den Leitsätzen des Unternehmens widersprechen oder systemische Konflikte thematisiert werden (Konflikte im Team oder mit dem Chef, Unzufriedenheit mit bestehenden Strukturen) – auch hier sitzt der Chef „zwischen den Stühlen“. Ein absolutes No Go sind darüber hinaus Coachings als Zwangs- oder Bestrafungsmaßnahmen für schlechte Leistungen; diese Konstellation kann selbst bei externen Coaches eine unüberwindbare Hürde darstellen, weil die Motivation des Mitarbeiters zur Veränderung meistens nicht gegeben ist.
Fazit
Es bleibt festzuhalten: Coaching durch den Vorgesetzten kann funktionieren, allerdings eher im Rahmen eines Mentoring, also beim Einarbeiten in neue Aufgabenfelder oder bei jungen, unerfahrenen Führungskräften. Von klassischem Coaching im Sinne einer Prozessbegleitung bei der Bearbeitung von privaten, tieferliegenden Themen sollte dagegen Abstand genommen werden. In vielen Fällen kommt es zu Rollendiffusionen und internen Konflikten, die sich auf den Coaching-Prozess negativ auswirken.