Das Thema Komplexität ist in aller Munde. Aber was daran ist denn eigentlich so neu und inwiefern betrifft es mich? “Ich muss alles im Blick halten – und zwar gleichzeitig.“ Diese Beschreibung entspricht, laut Vorständen und Geschäftsführern, aktuell dem Grundgefühl. Wie Sie mit der steigenden Dynamik der Entwicklungen mithalten können, zeigt Ihnen Andreas Steinhübel.
Psychologisch gesehen sind wir mit der Unsicherheit überfordert, denn unsere Urwünsche fordern Kontrolle und Vorhersagbarkeit. Daher verwundert es nicht, dass der Gegentrend „Vereinfachung“ heißt. Einfache Rezepte wie „Simplify your Business“ haben Hochkonjunktur. Doch einfach ist eben oftmals banal und unangemessen. Nun haben wir also zwei sich widersprechende Wünsche: Sicherheit, Kontrolle und Steuerbarkeit auf der einen Seite – Flexibilität, Vertrauen und Selbstorganisation auf der anderen.
Struktur gegen Flexibilität
Die Hauptfalle, in die viele Unternehmen geraten, ist, dass sich zwei Vereine mit jeweiligen Fankurven bilden. Der „FC Struktur“, vertritt meist vehement die Position, dass Prozesse und Kontrolle die Lösung zur Entwirrung der Komplexität sind. „Lokomotive Lässig“ setzt im gegnerischen Spielfeld währenddessen auf Flexibilität, Agilität und Selbstverantwortung.
Der erste Lösungstipp: Seien Sie Spielverderber – steigen Sie aus!
Komplexität ist nicht mit „Entweder-Oder“-Denken lösbar. Es braucht eine „Sowohl-Als-Auch“-Haltung. Bringen Sie beide Vereine zusammen und moderieren Sie einen Dialog mit den Fragen: „Was wollen wir eigentlich wirklich? Wer ist denn tatsächlich unser Gegenspieler? Welche Spielzüge bringen uns gemeinsam weiter?“
Der zweite Lösungstipp: Einfach ausprobieren.
Fangen Sie mit kleinen Einheiten an, in denen ähnliche Experimentierfreude wie in Startups herrscht. Testen Sie mal folgendes aus: Eine halbe Stunde pro Woche dürfen die Bereiche das „Frickel-Feeling“ nutzen, also starre Strukturen und Abläufe links liegen lassen. So kommen sie bestimmt zu kreativeren Lösungsideen.
Denn beim Frickeln gilt – paradoxerweise – die Regel: Es gibt keine Regeln! Wenn etwas dabei rauskommt: Umsetzen. Wenn nicht: Beim nächsten Mal weitermachen.
Sie glauben, eine halbe Stunde haben Ihre Teams nicht? Prüfen Sie einmal andere Meetings kritisch. Meetings sind der Zeitkiller Nummer 1: zu viele, zu ineffizient und zu dick besetzt. Menschen in Organisationen lassen sich gerade durch ein gewisses Maß an Sicherheit und Struktur auf Unsicherheit ein. Klare Abläufe verhindern also keineswegs Agilität, sondern beflügeln diese.
Spielzüge für den Sieg über die Komplexität
1. Heuristiken statt Regeln
Um Komplexität zu handhaben brauchen wir übergeordnete Leitlinien, sogenannte Heuristiken. Für Besprechungen empfehle ich: „Angemessenes Einbringen“ statt Regeln wie „Ausreden lassen“ oder „Handy aus“.
2. Auswirkungen statt Linearität
Berücksichtigen Sie bei Entscheidungen Kurz-, Mittel- und Langfristeffekte. Insbesondere unter Druck blenden wir Konsequenzen aus. Also: Wohin wollen wir? Womit können wir das erreichen? Und was passiert, wenn genau das passiert?
3. Surf die Welle
Nutze aktuelle Strömungen. Was in flexiblen Einheiten ausprobiert wird und funktioniert, wird zum Prozess. Was nicht, wird als Erfahrung abgespeichert.
4. Frickeln auf hohem Niveau
Laden Sie zum Experimentieren ein. Kombinieren, abgucken, quer denken und Fehler nutzen. Dabei bitte nicht das hohe Niveau vergessen, sonst wird es Pfuschen. Und das war noch nie eine gute Idee.