Wer sind die „Nieten in Nadelstreifen“?

Selbstoptimierung ist ein Trend in Unternehmen. Die Nachfrage nach Workshop, Seminaren oder Trainings ist größer denn je. Und es gibt viele, die dieses Bedürfnis gerne befriedigen. Aber brauchen wir überhaupt noch mehr Trainer, Coaches oder Speaker?

 

Viele werden sich noch an das Skandalbuch von Günter Ogger (1992) erinnern, in dem er quasi pauschal die in Nadelstreifen kostümierten Manager als Nieten beschrieb und runtermachte. Ich habe mich schon damals an dieser Pauschalierung gestört, tue es noch immer. Ich sehe sie nicht als Nieten, sondern als Menschen mit guten Absichten, die ihr Bestes tun, aber unter vielen Einschränkungen leiden.

Diese Menschen, die in Management-/Führungspositionen sind, sind doch sicherlich irgendwann mal durch unsere Seminare und sonstige Veranstaltungen gegangen. Die Speaker unter uns machen ihre Show-Veranstaltung für möglichst mehr als 500 Leute und meinen, Menschen zu besseren Führungsleistungen (oder auch Verkaufsleistungen) pushen zu können. Die Coaches unter uns arbeiten intensiv individuell mit einzelnen Menschen und hoffen darauf, diese Coachees irgendwie in die „richtige Richtung“ zu bringen, den Menschen sozusagen zu verändern, zu etwas Besserem hin zu entwickeln. Und die Trainer setzen in schönen Seminarumgebungen, möglichst mit offenem Stuhlkreis und Blumen in der Mitte, Menschen durch Appelle und Gruppenarbeit und Rollenspiele auf neue Wege zu führen und ihnen, wie alle Coaches und Speaker, auf jeden Fall die garantierten Erfolgsstrategien zu vermitteln und einzuimpfen.

Und damit sind wir alle fein raus? Oder doch nicht?

Wir waschen unsere Hände in Unschuld und beschimpfen laut oder heimlich die Menschen, die wir versucht haben „aus- und weiterzubilden“.  Wir haben ja unser Bestes getan. Die Manager/Führungskräfte, die „es“ nicht bringen, sind selbst schuld daran, dass sie Fehler machen. Sie hätten halt besser auf uns hören sollen. Wow! Solche Einstellung finde ich unprofessionell.

Nun kommt es: Könnte es sein, dass „wir“ die wahren Nieten sind, auch wenn wir – die Speaker ausgenommen – eher kaum Nadelstreifenanzüge tragen?

 

Und nun? Was tun? Was anders tun?

Noch mehr individuelles Coaching und noch mehr Coaches, das ist nicht die Lösung, auch wenn immer mehr Manager nach Coaches rufen. Das aber in Ermangelung einer Alternative. Eigentlich suchen die nach etwas Ähnlichem wie einem Personal Trainer. „Ich muss geistig, seelisch, körperlich“ leistungsfähiger werden, mich persönlich optimieren.“  Aber meiner Ansicht nach ist der Bedarf ein anderer:

 

Manager brauchen Sparringpartner.

Wir müssen gerade auch über ihre Business-Probleme kompetent mit ihnen reden können, also sachkundig werden. Unternehmens- und IT-Berater aller Art reden gewiss auch über die Businessprobleme mit Ihnen. Aber deren Beraten ist eher ein Anraten, doch etwas Bestimmtes zu kaufen.

Seminare sollten meiner Meinung nach wirklich nur für und mit Teams, die auch im Alltag zusammenwirken, inklusive ihrer Führungskräfte, durchgeführt werden. Seminare müssen zu Trainings werden, ja sogar zu Workshops in dem Sinne, dass an den realen Themen der Teams gearbeitet wird.  Trainer und Coaches wie Fußballtrainer. Ja, über längere Zeit mit einem intakten Team arbeiten. Auf jeden Fall: Weniger schöne Seminare mit heterogen, aus unterschiedlichen Unternehmensbereichen oder gar aus unterschiedlichen Unternehmen zusammengesetzten TeilnehmerInnen.

 

Coaches und Trainerinnen sollten in den Change-Projekten mitmachen

Innerhalb von Change-Projekte sollten gezielte, für definierten Zielgruppen, Trainings und Workshops gemacht werden. Zurzeit laufen in fast allen Unternehmen mehr oder weniger professionell gemanagt und also mehr oder weniger erfolgreich Projekte zur Digitalisierung. Ich lese in den Fachzeitschriften recht wenig davon, dass HR oder gar PersonalentwicklerInnen in diesen Projekten aktive Mit-Macher sind.

Wir können es beklagen, dass wir von den Managern nicht gebeten werden, aktiv in Projekten mitzuwirken. Provokante Frage: Was tun Sie, damit Sie von Managern als Businesspartner bzw. als Sparringpartner anerkannt werden?

 

In der Praxis lernen

Wenn Sie noch nie in Ihrem Unternehmen in einer anderen Abteilung als in der HR-Abteilung beheimatet waren und dort auch mitgearbeitet haben, könnte es sehr sinnvoll sein, mal ein Praktikum – nicht nur mal reinschauen und ein paar Leute interviewen, sondern mitarbeiten – in Ihrem Unternehmen z.B. in der IT-Abteilung oder im Q-Management oder in der Produktion zu machen. Oder mal über mehrere Wochen oder gar ein paar Monate in allen Abteilungen hospitieren, um die Realität aus der Sicht der Manager und Professionals kennenzulernen.

Digitalisierung bedeutet übrigens für das Seminar- bzw. Trainings- und Workshop-Geschäft nicht, dass man noch mehr virtuelle Veranstaltungen (blended learning) macht. Stattdessen sollte man eine Trainingsstrategie für ein Unternehmen entwickeln, vereinbart mit dem Topmanagement; und in den Trainings sollten Topmanager als Co-Trainer mitwirken.

Und schließlich sollten wir uns an die eigene Nase fassen: Wir sollten nicht nur Teamwork und Netzwerken und Kollaboration predigen, sondern genau das endlich selber praktizieren. Man muss nicht alles selber können und machen wollen, sondern man kann und sollte KollegInnen hinzuholen, auch wenn man dann in solch einem Projekt weniger Geld macht. Wir sollten auch endlich damit aufhören, über die schlimmen und nicht-lernfähigen Manager die Nase zu rümpfen oder sie sogar als „Nieten in Nadelstreifen“ zu beschimpfen und sie der Korruption beschuldigen oder gar als Psychopaten zu bezeichnen. Stattdessen sollten wir uns als Einzelne, aber besonders in Netzwerken, darüber Gedanken machen, was wir anders in Training und Coaching machen sollten, um (wieder) als Businesspartner anerkannt zu werden und tatsächlich Veränderungen in Unternehmen anstoßen und nachhaltig implementieren können.