Wer heute als Führungskraft arbeitet, sieht sich mit anderen Herausforderungen konfrontiert als vor einigen Jahren. Worauf es ankommt, erklärt Roger Henrichs, Trainer, Coach und Change Manager für Vorstände, Unternehmer und Führungskräfte.
XING Coaches: Was sind die entscheidenden Fähigkeiten, die eine Führungskraft beherrschen muss, um in der aktuellen Berufswelt einen guten Job zu machen?
Roger Henrichs: Ein gutes Mitarbeitergespräch zu führen, muss jeder können – aber ganz ehrlich: Das ist heutzutage Standard. Neben dem Standardbaukasten Führung brauche ich spezielle Werkzeuge. Diese liegen in den Themen: Veränderung gestalten, Veränderung begleiten und Konflikte aufarbeiten. Dazu brauche ich eine hohe Ambiguitätstoleranz: Ich muss andere Sichtweisen akzeptieren und Mehrdeutigkeiten und Widersprüche in Situationen und Handlungsweisen aushalten können, ohne mich unwohl zu fühlen oder aggressiv zu werden. Das sind die großen zukünftigen Herausforderungen für Führungskräfte.
XING Coaches: Gibt es auch Persönlichkeitsmerkmale, die man mitbringen sollte, um Führungskraft zu werden?
Roger Henrichs: Es gibt Menschen, die sind bereit, Verantwortung zu übernehmen, können sich schneller entscheiden, haben ein gutes Händchen für Prozesse und arbeiten sehr viel mit Feedback. Diese Menschen haben es natürlich leichter als jemand, der sehr introvertiert ist und vielleicht aus einer Spezialisten- oder Fachkarriere kommt. Menschen, die sehr harmoniebedürftig und sehr gruppenorientiert sind, haben es durchaus schwerer.
XING Coaches: Was kann ich denn machen, wenn ich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch bin?
Roger Henrichs: Ich würde grundsätzlich immer hinterfragen: Was bieten meine Persönlichkeit, meine Ausrichtung und meine Werte für Chancen? Wenn ich ein sehr harmoniebedürftiger Mensch bin, kann ich meine Gruppe auch mit gerade diesen Stärken führen. Führungskompetenz ist nicht unwichtig, aber nachrangig. Der Führungsstil muss authentisch sein und von den Mitarbeitern getragen werden. Das ist für mich das Entscheidende. Ich kann mit jedem Führungsstil erfolgreich sein, aber ich kann auch mit jedem Führungsstil nicht erfolgreich sein. Es kommt immer darauf an, was ich daraus mache und wie die Gruppe damit umgehen kann. Ich bin kein Fan davon, zu sagen, ich muss den Führungsstil immer der Situation anpassen. Der Führungsstil sollte konsequent und authentisch sein.
XING Coaches: Ist das manchmal auch abhängig von der Berufsbranche?
Roger Henrichs: Natürlich gibt es Unterschiede in den Branchen, aber auch in den Unternehmensbereichen. Außendienstler zu führen ist etwas anderes als Service-Mitarbeiter zu leiten. Die Kulturen in den einzelnen Bereichen sind verschieden: Einkauf tickt anders als Produktion, Produktion tickt anders als Marketing. Es ist nicht mehr nur der die beste Führungskraft, der am besten fachlich aufgestellt ist, sondern der, der das Orchester zusammenhalten kann.
XING Coaches: Das hat ja auch etwas mit dem Betriebsklima zu tun. Wie kann ich das als Führungskraft beeinflussen?
Roger Henrichs: Das ist eine Wechselwirkung und hängt in einem starken systemischen Zusammenhang. Das Betriebsklima beeinflusst sehr stark die Führung. Das heißt, wenn ich insgesamt ein schlechtes Betriebsklima habe – etwa wegen Restrukturierung, Stellenabbau oder unglücklicher Veränderungsprozesse –, müssen die Führungskräfte natürlich mehr leisten. Habe ich ein recht gutes Betriebsklima, werde ich von den Mitarbeitern anders getragen. Wenn ich dann jedoch derjenige bin, der für starke Veränderungen steht, bin ich möglicherweise auch derjenige, der nicht so gerne gesehen ist. Dann bringe ich Unruhe ins „Zimmer der Zufriedenheit“. Das ist für mich aktuell und zukünftig auch eine der ganz großen Herausforderungen für Führungskräfte: Führen und Verändern, und mit agilen Methoden und Change Management zu arbeiten. Wenn wir überlegen, wer vor 20 Jahren Führungskraft geworden ist, ist das heute ja ein totaler Paradigmenwechsel: Das waren immer die, die es ein bisschen besser fachlich wussten oder konnten. Das ist jetzt komplett anders und wird zukünftig auch so bleiben.
XING Coaches: Ist es denn so, dass die Mitarbeiter gar nicht mehr wie früher in der Hierarchie aufsteigen, sondern dass Unternehmen Führungskräfte von außen hinzuziehen?
Roger Henrichs: Das kann ich so nicht bestätigen. Ich glaube, es wird beides weiterhin geben. Es gibt auch Vorteile, wenn jemand von außen kommt. Ich habe aktuell die Thematik, dass die interne Führungskraft es nicht geschafft hat und man bewusst jemanden von außen geholt hat. Das gibt es genauso wie zu sagen, wir wählen aus dem Team die Führungskraft aus, von der wir glauben, dass die Person am besten geeignet ist.
XING Coaches: Wenn ein Mitarbeiter intern aufsteigt, gibt es dann spezielle Herausforderungen, denen man sich stellen muss?
Roger Henrichs: Der gesamte Kommunikationsprozess ist schon eine Herausforderung. Da gibt es häufig eine lange Zeit Gerüchte. Bis die Person die Rolle und Funktion überhaupt bekommt, muss man sehr feinfühlig sein. Also sollte man gegebenenfalls mit denen, die sich selber die Position versprechen, Einzelgespräche führen. Man sollte die neue Führungskraft nach Möglichkeit unterstützen. Das kann ein Coaching oder ein Führungskräfte-Training sein. Die Mitarbeiter sollten ein Commitment gegenüber der neuen Führungskraft entwickeln – speziell, wenn es ein ehemaliger Kollege bzw. Kollegin ist. Hierfür kann sich der Gesamtverantwortliche deutlich vor die Gruppe stellen und sagen: „Aus diesen Gründen haben wir uns für Person X entschieden.“ Der neue Teamleader wird möglicherweise gleich erleben, dass Führung durchaus einsam machen kann. Umgekehrt habe ich so einen kuriosen Fall, bei dem jemand am Freitag als Kollege rausgegangen und am Montag als Chef reingekommen ist. Plötzlich hat er alle Mitarbeiter gesiezt – und die waren komplett verunsichert. Man sollte sein Verhalten also nicht komplett umkrempeln.
XING Coaches: Wie kann ich reagieren, wenn ich mich auf einmal unwohl in meiner Rolle fühle?
Roger Henrichs: Mit einer guten Vorbereitung passiert das zunächst nicht so stark. Dann weiß man schon um die möglichen Fehler und Fallstricke. Manchmal wird man aber auch Knall auf Fall Führungskraft. Dann sollte man schauen, dass man in den ersten Wochen nicht von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen tritt; dass man sich konstruktiv aufstellt gegenüber seinen Kollegen, diese jeweils einzeln abholt und Einzelgespräche führt – sofern das möglich ist. Die ersten Wochen und die ersten zwei, drei Monate sind entscheidend. Wenn es in dieser Zeit schief läuft, wird es aufwendiger. Dann kann man mit Coaching, Teamentwicklung und Konfliktklärung arbeiten. Aber besser ist natürlich, wenn man es von vornherein richtig macht.
Ein Tipp für manche Führungskräfte ist: Nicht den Eindruck machen, als ob man schon alles weiß und kann. Auch als führende Kraft kann ich sagen: „In bin in der Thematik noch nicht drin, da brauche ich dich als erfahrenen Mitarbeiter.“ Und ein „Bitte“ und „Danke“ schadet sicher auch nicht.
XING Coaches: Welche Optionen zur Weiterbildung gibt es?
Roger Henrichs: Für die Weiterbildung im persönlichen oder methodischen Bereich gibt es oft intern schon sehr gute Möglichkeiten. Der gesamte Markt ist riesig mit unterschiedlichen Angeboten und Formaten. Zum einen gibt es Programme für Führungsnachwuchskräfte. Dann gibt es spezielle Module, die führen vom Kollegen zur Führungskraft. Dann gibt es natürlich Weiterbildungen für Menschen, die schon Führungskräfte sind. Und letztendlich noch die für Führungskräfte, die Top-Führungskräfte sind, sehr große Teams oder besondere Herausforderungen haben.
Autor: Roger Henrichs, Geschäftsführer 2coach Personal- und Unternehmensberatung