Es gibt einige gute – und durchaus überraschende – Gründe, einem Unternehmen den Rücken zu kehren, obwohl Sie noch keine neue Stelle in Aussicht haben. Wann also sollten Sie ohne Plan B kündigen?
Irgendwie strebt in Deutschland jeder nach Sicherheit. Im englischen Sprachraum hat sich sogar bereits der Begriff der „German Angst“ etabliert – als Bezeichnung dieser unspezifischen Furcht vor allem und jedem, die in der deutschen Gesellschaft zu herrschen scheint. Das betrifft auch einen Jobwechsel. Allein das Wort treibt vielen Arbeitnehmern die Schweißperlen auf die Stirn. Wer kann, versucht einen unbefristeten Arbeitsvertrag bei einem stabilen Unternehmen zu ergattern. Zwar steigt die Freude am Jobhopping ganz langsam auch in Deutschland, doch von der „Hire-and-Fire“-Mentalität, wie sie zum Beispiel in den USA oder bei unseren Nachbarn in der Schweiz herrscht, sind wir noch weit entfernt. Eine Kündigung kommt für viele deutsche Angestellte nur im äußersten Notfall infrage. Der Gedanke an eine arbeitgeberseitige Auflösung des Arbeitsvertrages sorgt für schlaflose Nächte. Und ein Jobwechsel ohne Plan B? Daran würden Sie niemals auch nur denken. Leider ist das eine Grundeinstellung, die nicht mehr zu unseren Strukturen der modernen Arbeitswelt passt. Der Trend geht zu Flexibilität, Patchwork-Lebensläufen und Freelancertum. Für viele Deutsche scheint es bis dahin noch ein weiter Weg zu sein. Ein erster Schritt in die richtige Richtung wäre es aber, zumindest endlich die Angst vor der Kündigung abzulegen.
Eine Kündigung ist kein Weltuntergang – sondern Ihr gutes Recht
Wer zu zwanghaft an seinem aktuellen Arbeitsvertrag festhält, schneidet sich damit nämlich in der Regel ins eigene Fleisch. Wer den Gedanken an eine Kündigung hingegen gelassener sieht, präsentiert sich selbstbewusster und genießt dadurch bessere Aufstiegschancen sowie eine gestärkte Verhandlungsposition à la „Wenn Sie mein Gehalt nicht erhöhen, wechsle ich zur Konkurrenz“. Zwar sollten Sie mit solchen Drohungen vorsichtig sein – vor allem, wenn Sie (noch) keinen Plan B haben – doch macht das Beispiel die veränderte Grundeinstellung deutlich: Wer keine Angst vor einem Jobwechsel hat und zuversichtlich ist, im Falle einer Kündigung eine neue Anstellung oder einen anderen Plan B wie die Selbstständigkeit zu finden und zu meistern, lässt sich von seinem Arbeitgeber weniger gefallen. Es gibt nämlich durchaus gute Gründe, die einen solchen unzumutbar machen und dann sollten Sie zur Kündigung greifen – Plan B hin oder her. Welche Gründe können das sein?
– Starre Arbeitszeiten in einer flexiblen Welt: Die Digitalisierung hat die Arbeit in vielen Berufen und Branchen zeit- sowie ortsunabhängig gemacht. Das Versprechen lautet: eine bessere Work-Life-Balance sowie vereinfachte Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Bislang bekommen viele deutsche Arbeitnehmer aber vor allem die Nachteile dieser Entwicklung zu spüren, zum Beispiel im Sinne der ständigen Erreichbarkeit. Dass noch nicht alle Unternehmen die Möglichkeit von Homeoffice, Remote Work & Co eingeführt haben, mag verständlich sein und noch etwas Zeit brauchen. Doch wo Sie noch nicht einmal die Option eines Gleitzeit- oder Teilzeitarbeitsmodells haben – obwohl in der Theorie problemlos möglich – oder anderweitig lächerlich starre Arbeitszeiten genießen, und zwar ohne Aussicht auf eine Verbesserung in naher Zukunft, werden Sie bei einem anderen Unternehmen gewiss glücklicher.
– Gesundheitsgefährdung auf verschiedenen Ebenen: In Deutschland herrscht ein strenger Arbeitsschutz und wo Ihre Gesundheit akut gefährdet ist, dürfen Sie nicht nur kündigen, sondern sollten Sie sogar – und zwar fristlos. Doch eine Gesundheitsgefährdung kann auch auf anderer, subtiler Ebene stattfinden, zum Beispiel durch eine stetig zu hohe Arbeitslast, aufgrund von Mobbing oder in einem vergifteten Betriebsklima. Auch Langeweile kann Sie in die psychische Krankheit treiben, ebenso wie das Burnout-Syndrom durch Dauerstress. Weshalb und in welcher Form Ihre Gesundheit gefährdet ist, müssen Sie daher selbst prüfen. Sollte dies aber der Fall sein, warten Sie nicht auf einen Plan B, um zur Kündigung zu greifen!
– Mangelnde Zeit für den Bewerbungsprozess: Apropos Plan B – der ist ohnehin nur mit ausreichend Puffer möglich, denn sowohl ein Bewerbungsprozess als auch der Sprung in eine Selbstständigkeit oder andere berufliche Veränderung brauchen Zeit und Muse. Im Idealfall finden Sie diese nach Feierabend, an den Wochenenden oder im Urlaub und können in Ruhe Ihren Plan B schmieden, bevor Sie Ihren bisherigen Plan A kündigen. Doch wenn Sie nur noch mit Ihrer Arbeit beschäftigt sind und auch außerhalb des Büros nicht mehr abschalten können, ist die Kündigung manchmal der bessere Weg – für Ihre Gesundheit und Ihre Energie, um den Plan B anschließend überhaupt anpacken und umsetzen zu können. Der Neuanfang klappt nämlich besser, wenn er aus einer inneren Ruhe heraus gestartet wird.
– Lächerliche Regularien Ihrer Perspektiven: Sie können nicht auf eine Gehaltserhöhung, Beförderung oder interne Versetzung hoffen, weil Sie…gerade noch in der Probezeit sind…nicht den passenden akademischen Abschluss besitzen…sich hinten anstellen müssen und ältere Arbeitnehmer vorgezogen werden…oder so ähnlich… Es gibt viele lächerliche Gründe, weshalb Ihnen Perspektiven im Unternehmen verwehrt bleiben, sei es kurz- oder sogar langfristig. Doch Hand aufs Herz: Wer gute Leistungen erbringt, seine Arbeit mit Leidenschaft erledigt und hohe Ambitionen hat, sollte nicht durch solche veralteten Regeln zurückgehalten werden. Wo Sie sich nicht gefördert fühlen oder sogar perspektivlos in der Stagnation festsitzen, wird es Zeit für die Kündigung.
– Mitarbeiterüberwachung wie im Kindergarten: Immer wieder kreisen Skandale um die Thematik der Mitarbeiterüberwachung durch die Medien. Detektive, Kameras & Co sind leider keine Seltenheit in der deutschen Arbeitswelt – und in den meisten Fällen ebenso wenig legal. Doch nicht nur solche drastischen Überwachungsstrategien sollten ein No-Go für jeden Arbeitnehmer sein, sondern auch ein allzu strenger Umgang mit der Nutzung von Internet, Smartphone und anderen modernen Medien sollte in deutschen Unternehmen endlich der Vergangenheit angehören. Die Sicherheit muss dabei stets gewährleistet bleiben, keine Frage. Doch dass der Mitarbeiter in seiner Mittagspause seine WhatsApp-Nachrichten oder Facebook-Messages checkt, sollte nun wirklich kein Problem darstellen. Müssen Sie hingegen bei jedem Klick eine Abmahnung oder sogar Kündigung fürchten, begeben Sie sich lieber in ein Unternehmen mit einer Arbeitsatmosphäre, die auf Vertrauen basiert. Schließlich sind Sie keine fünf Jahre mehr alt und auch nicht mehr im Kindergarten.
– Fehlender Raum zur Persönlichkeitsentwicklung: Selbstentfaltung sollte auch – oder vor allem – am Arbeitsplatz möglich sein. Der Arbeitnehmer sollte als Individuum wahrgenommen und gefördert werden. Politische Korrektheit oder ein übertriebener Hang zur Konformität schränken nicht nur das Individuum in seinen Möglichkeiten ein, sondern auch das Unternehmen als Ganzes. Leider haben viele Arbeitgeber das noch nicht begriffen und fördern ihre Mitarbeiter nicht (ausreichend) in ihren persönlichen Talenten und Stärken. Manchmal ist das Abenteuer der Kündigung ohne Plan B daher die beste Möglichkeit, sich als Persönlichkeit weiterzuentwickeln und der Selbstentfaltung Raum zu bieten – wenn da bloß nicht diese doofe „German Angst“ wäre, durch welche Sie sich selbst im Weg stehen!
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