Komplexitätsreduktion ist in vielen Fachbereichen ein gängiger Begriff. Experten der unterschiedlichsten Bereiche sehen sich ständig vor der Herausforderung, ihr komplexes Fachwissen einem breiten Publikum näherzubringen. Aber nicht die Komplexität ist der Feind, verrät Kommunikationsphilosophin Dr. Anna Kollenberg, sondern der Umgang mit komplizierten Inhalten.
Als ich meinen ersten Lehrauftrag im Fach Philosophie erhielt, lud mich einer meiner Professoren zu einem Gespräch in sein Büro ein. Er wolle mir ein paar Tipps für die Lehre geben. Die Quintessenz des Gesprächs war, dass ich darauf achten solle, die Komplexität philosophischer Ansätze strikt zu vereinfachen und zu reduzieren. Die meisten Studentinnen – unsere Frauenquote war zugegeben sehr hoch – würden ihren Mangel an Intelligenz durch Fleiß wegmachen. Ich würde diese Studentinnen schlicht überfordern. Dieses Gespräch verärgerte mich natürlich auf mehreren Ebenen. Aber ich hielt mich zurück. Es war sinnlos in diesem Kontext über Intelligenz oder Didaktik zu diskutieren. Wozu auch. Es war meine Bühne. Mein Seminar. Meine Studierenden.
Komplexität ist nicht das Problem
Die Herausforderung besteht darin, seinem Publikum einen Zugang zu dieser Komplexität zu bieten. Einen Zugang, der sie motiviert, sich mit dieser Komplexität zu beschäftigen. Einen Zugang, der sie abholt. Einen Zugang der eine vertraute Perspektive aufzeigt. Einen Zugang, der sie begeistert und erstaunt.
Darum geht es nicht nur in der Lehre. Das betrifft Kommunikation im Allgemeinen. Man muss seinem Gegenüber schon zeigen, dass das Thema, Produkt, Dienstleistung, Argument usw. relevant und interessant für ihn ist. Sonst verliert man sein Publikum – oder seine Studenten – oder seinen Kunden.
Warum fällt es vielen Experten, Wissenschaftlern und Managern so schwer, mit Komplexität umzugehen?
Das hat meiner Meinung nach zwei Gründe:
1. Man hat ihnen stets erzählt, man müsse Komplexität reduzieren, um sie verständlich zu kommunizieren. Diese Strategie ist aber nicht ausreichend.
2. Experten und Expertinnen fokussieren sich auf ein Thema. Sie tragen fachliche Scheuklappen – das bringt das Expertentum mit sich. Je fachlich fokussierter ein Mensch ist, umso schlechter kann er oder sie aus anderen Perspektiven auf das eigene Thema blicken.
Die bloße Reduktion von Komplexität ist Zeitverschwendung. Sie muss gleichzeitig einen Zugang zur ihr bieten. Einen Zugang zu bieten, bedeutet, seinem Gegenüber Hinweise zu geben, wie er oder sie eigenständig mit diesem komplexen Thema umgehen kann. Sich verhalten soll. Sich entscheiden soll. Manager und Dozentinnen stehen da vor demselben Problem: Wie schaffe ich einen Zugang zu einem komplexen – und vielleicht trockenen Thema – so, dass es die Kollegen, Mitarbeiter, Studierenden und Kunden interessiert. Oder am besten noch – begeistert. Emotional berührt. Das bedeutet, sein Publikum abholen. Es zu motivieren, eine Reise in die schöne neue Welt der Komplexität mit Ihnen anzutreten.
Methoden und Strategien – ein Beispiel
Es gibt viele Methoden und Strategien – besonders aus dem Storytelling – dieses Kommunikationsziel zu erreichen. Eine möchte ich Ihnen hier in vier Schritten vorstellen.
Die Struktur des SCQA
Diese SCQA ist eine Struktur, die sich aus meiner Forschung zum logischen Denken und dem Storytelling herauskristallisiert hat. Diese vier Punkte bei der Erstellung von Inhalten einzuhalten, ist das Fundament für eine klare und ansprechende Kommunikation. Nehmen Sie ihren Gesprächspartner oder Leser mit auf eine kleine Heldenreise.
1. Holen Sie ihre Zuhörer oder Leser ab – in dem Sie eine Situation (S) beschreiben, die ihren Zuhörern vertraut ist. Nehmen Sie seine oder ihre Perspektive ein. Das ist nicht immer einfach – aber erlernbar!
2. Motivieren Sie ihre Zuhörer oder Leserinnen – in dem Sie eine Herausforderung (C) formulieren, die die Dringlichkeit oder den Handlungsbedarf betont. Die vertraute und angenehme Ausgangssituation ist in Gefahr. Jetzt muss der Held – ihr Zuhörer – handeln.
3. Stellen Sie nun die alles entscheidende Frage (Q) – wie kann ihr Held, ihr Kunde, ihr Mitarbeiter, ihr Leser oder Zuhörer das Problem lösen? Stellen Sie nur die Frage. Bringen Sie die Herausforderung auf den Punkt.
4. Schließlich – Sie sind der Experte – präsentieren Sie die Lösung (A). Die Antwort. Den Weg, den der Held gehen muss, damit er die Herausforderung meistern kann – zurück zur Wohlfühlzone kommen kann.
Das ganze Geheimnis: Die anderen Helden sein lassen
In meiner Arbeit mit Wissenschaftlern, Fachexpertinnen und auch Managern höre ich immer wieder eine Klage: „Storytelling ist doch viel zu emotional. Damit mache ich mich doch lächerlich.“ Es geht nicht darum, Emotionen zu wecken. Es geht darum ihren Kunden, Mitarbeiter und Kolleginnen, Kooperationspartner ihre komplexen Dienstleistungen und Produkte so zu kommunizieren, dass sie kaufen, mitarbeiten, begeistert sind. Sie weiterempfehlen. Egal mit wem Sie kommunizieren. Egal wen Sie überzeugen oder begeistern wollen. Sie müssen dieser Person einen Zugang zu ihrer komplexen Welt – ihrem Produkt oder Dienstleistung – bieten. Diese Person muss sich berufen fühlen, selber den Weg durch die Komplexität zu finden. Diese Person soll sich als der Held fühlen, der aus eigener Kraft diese Komplexität meistert. Sie unterstützen ihn natürlich als Experten dabei – aber er ist der Held.
Motivieren Sie zur Eigenständigkeit
Eines haben meine Studierenden damals ganz sicher gelernt: sie können sich selbst mit Texten und Ansätzen aus der theoretischen Philosophie auseinandersetzten. Vielleicht habe ich sie teilweise überfordert. Aber diese Hürde – diese Herausforderung – haben meine Studierenden angenommen. Sie haben ihre eigene Heldengeschichte geschrieben. Mehr wollte ich als Dozentin gar nicht erreichen: Studierende zur Eigenständigkeit motivieren.
Mehr will auch ein Sales Manager oder eine Teamleiterin nicht erreichen. Es ist eine Kunst, Menschen auf einen Heldenweg zu schicken. Aber auch diese Kunst kann man erlernen.