Wieso die Zukunft den flachen, dezentralen Organisationen gehört

Kennen Sie die drei wichtigsten Eigenschaften einer guten Führungskraft? Diese Frage wäre vor 10 Jahren noch recht eindeutig zu beantworten gewesen: Als gute Führungskraft muss ich erstens Ziele vorgeben können, zweitens in der Lage sein, notwendige Entscheidungen zu treffen und drittens die beiden vorgenannten Kernfunktionen verständlich an meine Mitarbeiter und Stakeholder kommunizieren können. 

 

Heute jedoch transformiert sich die Wirtschafts- und Unternehmenswelt zunehmend dynamischer und schneller. Strukturen und Beziehungen verändern sich rasant und permanent – nicht linear, kausal und evolutionär, sondern netzartig, zirkulär und komplex. Herkömmliche Organisationsformen und Führungsansätze ignorieren dies überwiegend. Anstatt sich Komplexität und Dynamik zu Nutze zu machen, versuchen sie, diese zu reduzieren; das macht Entscheidungen vielleicht leichter, aber ebenso reduzierter.

Damit werden sie den Herausforderungen, vor denen sowohl die Führungskräfte individuell wie auch die Wirtschaft und Gesellschaft insgesamt stehen, nicht mehr gerecht: Unsere Fachkräfte kommen aus den unterschiedlichsten Kulturkreisen, Wissen kaufen wir weltweit ein, virtuelle und reale Teams vermischen sich – rund um den Globus, rund um die Uhr. Man kennt sich nicht mehr seit Jahren. Mitarbeiter bleiben immer kürzer in einem Unternehmen, ob freiwillig oder fremdbestimmt. Die Zeiten, in denen der Dienstwagen die Karriere besiegelte, sind vorbei. Familie und Freunde sind im Zweifel wichtiger als der Job.

Höhere soziale und emotionale Intelligenz ist gefragt

Das verlangt wiederum von den Führungskräften von heute – und umso mehr von morgen – veränderte Eigenschaften, vor allem eine wesentlich höhere soziale und emotionale Intelligenz. Sie sind gefordert, ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das zum einen die individuelle Lebensplanung berücksichtigt, und zum anderen dem Unternehmen weiterhin einen motivierten Mitarbeiter sichert, der sein Engagement, seine Leistungsbereitschaft und seine Kreativität für gerade dieses Unternehmen einbringt. Deshalb ist mein Leitsatz „Führen heißt, eine Welt zu gestalten, der andere Menschen gerne angehören wollen“ heute genauso gültig wie er es Morgen noch sein wird.

Traditionelle Unternehmen mit ihren starren Strukturen taumeln bei so viel Bewegung. Anders die neuen Formen der Unternehmensorganisation: Obwohl im Inneren höchst stabil, passen sie sich nach außen ständig ihrer Umwelt an. Ihre Organisationsstruktur ist darauf ausgerichtet, Marktchancen zu identifizieren und zu nutzen. Sie sind jedoch ebenso in der Lage, schnellstmöglich eine Idee zu verwerfen, falls sie sich als unwirtschaftlich herausstellt. Die Mitarbeiter arbeiten in Projekten, die ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechen. Eine gemeinsame Ideologie beziehungsweise gemeinsame Werte umspannen dieses Netzwerk und geben den Organisationsmitgliedern ein kollektives Ziel. Derartige Teams lassen sich nicht steuern oder gar kontrollieren; wer das versucht, erstickt Innovationskraft und vergeudet Energie.

Traditionelle Hierarchiestrukturen abbauen

Netzwerkorganisationen sind die Antwort auf die veränderten Wirtschaftsbedingungen. Die globale Wirtschaft ist eine weltweit zusammenhängende, in vielfältigen Abhängigkeiten verflochtene Wirtschaft, in deren Folge der Kosten- und Wettbewerbsdruck immer weiter zu- und die Marktchancen gleichzeitig abnehmen. Die Unternehmen müssen reagieren: sie müssen sich flexibel aufstellen, in Veränderung investieren und die regionalen Chancen nutzen, die im Fahrwasser der Globalisierung schwimmen. Innovationen sichern das Überleben; und wer die will – das sagen uns die Hirnforschung und die junge Wissenschaft des Neuroleadership – muss das Umfeld seiner Mannschaft, seine Organisation, entsprechend gestalten. Die Etappenziele lauten Abbau der traditionellen Hierarchiestrukturen, Analyse von Produktionsabläufen und -kosten, gebündeltes Know-how auf interner und externer Ebene – sprich: die konzentrierte Wirtschaftsorganisation mit Vor-Ort-Vernetzung.

Moderne Unternehmen brauchen systemische Führungskräfte

Solche offenen Systeme lassen sich nichtmehr von oben lenken. In diesen Organisationen ist der Chef längst kein Befehlshaber mehr, er ist Beobachter und Impulsgeber. Seine Kunst besteht nicht darin, das System zu managen, sondern dessen Beziehungen. Dieser neue Typus einer „systemischen Führungskraft“ erkennt das Unternehmen als komplexes System, das auf Grund seiner Eigendynamik im klassischen Sinne nicht zu führen ist. Darum beschränkt sie sich darauf, die wechselseitigen Beziehungen ihres Systems zu analysieren und Impulse zu setzen. Das erreicht sie, indem sie die richtigen Menschen miteinander vernetzt, für Sorgfalt bei der Kommunikation sorgt und dem System Informationen bereitstellt, über die es noch nicht verfügt. Systemische Führung bedeutet hierbei, einerseits menschlich, emotional und beziehungsorientiert zu führen, und andererseits dem System Regeln und Grenzen vorzugeben sowie durch gezielte Interventionen und Impulse Veränderungen anzuregen. Aus beiden Facetten entsteht eine hoch wirksame Kombination der menschlichen und der leistungsorientierten Perspektive des Führens. Deshalb gehört die Zukunft den flachen, dezentralen Organisationen, die die Eigenverantwortung ihrer Unternehmenseinheiten und ihrer Mitarbeiter stärken und die Grenzen ihrer Organisation permanent neu definieren.

Veränderung muss von Innen kommen

Veränderung lässt sich dabei auch nicht outsourcen. Und sie lässt sich auch nicht durch externe Kräfte durchführen. Veränderung muss aus dem Inneren des Systems kommen, von der Führungskraft selbst. Voraussetzung dafür ist, dass eine Führungskraft in der Lage ist, den zentralen Menschen in diesem Prozess zu führen: sich selbst. Wer seine eigenen Handlungsmuster erkennt und versteht, kann sein Verhalten bewusst steuern und sich selbst führen. Erst wer sich selbst führen kann, kann auch lernen, Menschen zu führen. Und wer in der Lage ist, Menschen zu führen, kann lernen, ein Unternehmen zu führen.