Gefühle zulassen und darüber sprechen ist nicht jedermanns Sache. Chefs brauchen aber eine gute Portion emotionale Kompetenz und Empathie, um vertrauensvoll führen zu können. Wer Ängste nicht ernst nimmt oder gar schürt, erstickt die Motivation seiner Mitarbeiter im Keim. Wie es anders geht, zeigt der Bericht des Business-Coaches Wolf-Dietrich Groß.
„Lassen Sie uns ganz sachlich darüber reden“. Diesen Spruch schon mal gehört? Oder sagen Sie das selbst gelegentlich? Helfen tut es jedenfalls nicht, wenn das Gegenüber gerade im Ärger feststeckt. Im Gegenteil: Kritisiert der Chef das Konzept, das sein Mitarbeiter eiligst am Wochenende noch erarbeitet hat, kommen Frust und Enttäuschung auf. Ist der Mitarbeiter emotional angefressen, so macht die Ermunterung „Nehmen Sie es doch nicht persönlich“ eher noch wütender.
Führungskräfte sollen ihre Mitarbeiter doch abholen und mitnehmen, wissen oft aber nicht, wie es geht. Wer frustriert hoch oben auf der Palme sitzt, möchte genau dort abgeholt werden. Das wird aber nur emotional kompetenten Führungskräften gelingen. Abholen und Mitnehmen braucht Einfühlungsvermögen und die entsprechende Bereitschaft dazu: „Wenn ich mich in Ihre Situation versetze, würde es mir vielleicht ähnlich gehen“. Damit würde die Führungskraft ohne inhaltliche Zustimmung Verständnis für die Situation des anderen signalisieren, statt sich hilflos den Emotionen des Mitarbeiters ausgesetzt zu fühlen und diese wegdiskutieren zu wollen.
Im Arbeitsalltag werden Gefühle meist als hinderlich empfunden. Geäußerte Gefühle machen angreifbar, so die Befürchtung. Gefühlsregungen wie Weinen werden schon bei Kindern als Schwäche deklariert. So ist „Heulsuse“ ein Ausdruck von Nicht-Akzeptanz und Verachtung und eine professionelle Beziehung im Job hat es dann schwer. Leider, denn Motivation entsteht vor allem durch eine positive Atmosphäre am Arbeitsplatz.
Wenn die eigene Resignation auf Mitarbeiter abfärbt
Für viele Menschen ist der Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen nicht geübt, daher werden diese schnell zur Bedrohung. In einem Einzel-Coaching sagte mir kürzlich der Leiter einer Organisationseinheit mit disziplinarischer Verantwortung für 35 Mitarbeiter, er verdiene grundsätzlich keine Anerkennung. Häufig sind negative Kindheitserfahrungen der Auslöser für solche Persönlichkeitsentwicklungen. Allein den Coachee auf diesen Umstand aufmerksam zu machen, reicht aber nicht aus, um eine Veränderung herbeizuführen. Erst als ich ihm klar machte, dass er mit dieser Selbstbehinderung täglich ein trauriges Vorbild für seinen dreijährigen Sohn abgebe, zeigte er sich sichtlich betroffen und deutlich für Veränderung motiviert. So kam ein konstruktiver Prozess durch emotionale Berührung zustande.
Leistung anerkennen
Oft ist es fehlende Anerkennung, die Mitarbeitern zu schaffen macht, denn sie sollen in erster Linie „funktionieren“ – das Lieblingswort vieler Chefs. Jahr für Jahr bringt das beispielsweise die renommierte Gallup-Studie ans Licht: 2015 haben in der Repräsentativbefragung deutscher Arbeitnehmer 68% angegeben, sie machen Dienst nach Vorschrift. 16% hätten innerlich gekündigt und lediglich weitere 16% arbeiteten engagiert. Das sagt erschreckend viel über den Motivationspegel in deutschen Unternehmen aus.
In der Managementliteratur findet sich regelmäßig der Hinweis, die Motivation des Einzelnen müsse aus ihm selbst heraus kommen, also intrinsisch vorhanden sein, von außen lasse sich nicht viel bewirken. In der Praxis sieht es anders aus – insbesondere dann, wenn man die Perspektive wechselt: Es geht vor allem darum, Mitarbeiter durch Mangelverhalten und unangemessene Kommunikation nicht zu demotivieren.
Vor einiger Zeit betreute ich als Coach eine Gruppe von Teamleitern der Bahn. Einer von ihnen erzählte empört, wie einer seiner 50 Lokführer, den er wegen des Schichtdienstes nicht regelmäßig zu Gesicht bekomme, sich abwende und einfach weggehe, wenn er ihn auf dem Bahnhof treffe und mit ihm reden wolle. Ich regte an, möglichst bald mit seinem Mitarbeiter die nächste Pflicht-Begleitfahrt zu machen. Wenn alles in Ordnung sei – von der Sauberkeit im Führerstand, über die Qualität der Durchsagen bis zum Vorhandensein aller notwendigen Papiere – solle er ihn nachdrücklich loben und seine Leistung anerkennen. Beim nächsten Treffen der Gruppe zeigte sich der Teamleiter höchst aufgeregt: „Wissen Sie, was jetzt passiert? Es war während der Fahrt alles gut und ich habe meiner Zufriedenheit deutlich Ausdruck verliehen. Wenn ich ihn jetzt treffe, kommt er auf mich zu, und wenn ich dann gehen will, läuft er hinter mir her“. Offensichtlich war es gelungen, den 58-jährigen Lokführer zu reanimieren, ihn durch Anerkennung aus seiner Resignation zu holen und frisch motiviert mitzunehmen.
Ängste ernst nehmen
Besonders deutlich werden die emotionalen Defizite von Führungskräften in Change-Prozessen. Groß ist regelmäßig die Irritation darüber, warum Mitarbeiter sich so schwer tun oder sich gar verweigern. Im besten Fall sind die Prozesse rational durchgetaktet, Informationsflüsse und Kommunikationsverhalten sorgfältig geplant – und trotzdem ziehen viele Mitarbeiter nicht mit. Die Erklärung ist so einfach wie verblüffend: Individuelle Ängste werden nicht wahrgenommen oder ignoriert. Das Problem beginnt damit, dass Chefs ihrerseits nicht über ihre Ängste sprechen, falls sie überhaupt ein Bewusstsein dafür entwickeln. Angst wird – und das ist das große Missverständnis – als etwas Negatives gewertet. Wenn aber Angst vor den eigenen und fremden Ängsten herrscht, können sich Menschen nicht als wahrhaftige Persönlichkeiten begegnen und auch nicht vertrauensvoll zusammenarbeiten. Ängste schaffen Unsicherheit und Misstrauen. Wer als Führungskraft primär rational unterwegs ist, läuft Gefahr, die Herz- und Bauchsprache zu vernachlässigen und nicht gehört zu werden. Zu den wichtigsten Führungsaufgaben gehört es, über Beziehungen Vertrauen aufzubauen und weitest möglich angstfreie Räume zu schaffen. Ohne emotionale Berührung entsteht keine Bewegung.
Erste-Hilfe-Tipps für emotionales Führen
– Wenn Mitarbeiter emotional auf Touren sind, hören Sie auf zu argumentieren.
– Verzichten Sie auf die Aussage, „sachlich“ bleiben zu wollen.
– Versuchen Sie, sich in die Situation des anderen hinein zu fühlen.
– Schauen Sie durch die Brille des Gegenübers und äußern Sie Verständnis, sofern Sie dann die andere Sicht nachvollziehen können (damit haben Sie inhaltlich nicht zugestimmt).
– Machen Sie sich ein klares Bild davon, was Ihren Mitarbeitern wichtig ist und gehen Sie möglichst individuell darauf ein.
– Erkennen Sie Leistung an, statt sie als selbstverständlich und mit dem Gehalt als abgegolten zu sehen.
– Geben Sie resignierte Mitarbeiter nicht auf (das können Sie sich gar nicht leisten), sondern motivieren Sie verstärkt durch Respekt und Anerkennung.
– Kümmern Sie sich in Change-Prozessen insbesondere um die Sorgen und Ängste Ihrer Mitarbeiter. Aber nehmen Sie im Gespräch niemals als erster das Wort „Angst“ in den Mund, außer Sie sprechen über sich selbst.
– Zeigen Sie sich menschlich und schaffen Sie eine vertrauensvolle Atmosphäre, indem Sie über ihre eigenen Sorgen und Ängste sprechen und dass es auch für Sie nicht immer leicht ist, zuversichtlich und zielorientiert damit umgehen.