Kennen Sie das? Eigentlich wollten Sie während der Diskussion mit Partner oder Kollegen Ihre Argumente klar und sachlich darlegen. Stattdessen vergessen Sie Ihre gute Vorbereitung und reagieren doch wieder emotional. Wieso ist das Umsetzen von guten Vorsätzen oft so schwierig? In der neurowissenschaftlichen Forschung gibt es Erklärungsansätze, die Ihnen mögliche Lösungen aufzeigen.
In Konfliktsituationen, unabhängig davon, ob im beruflichen oder privaten Umfeld, fühlen wir uns manchmal wie fremdgesteuert. Alle guten Vorsätze, die wir uns vorgenommen haben, werden im Streit über Bord geworfen und wir sagen oder tun Dinge, von denen wir genau wissen, dass wir sie besser nicht sagen oder tun. Neurowissenschaftlich lässt sich dies erklären.
Wie funktioniert unser Hirn?
Unsere Wahrnehmung, Interpretation und jeder Willensakt wird über komplexe Schaltkreise in verschiedenen Bereichen des Gehirns gesteuert. Stark vereinfacht kann das Gehirn in drei Teile geteilt werden, die besonders einflussreich auf die eine oder andere psychische Funktion sind: Stammhirn, Mittelhirn und Großhirnrinde. Stammhirn und Mittelhirn haben sich bereits bei Reptilien bzw. bei frühen Säugetieren herausgebildet.
Die Großhirnrinde ist entwicklungstechnisch erst viel später entstanden. Sie prägt unsere rational-analytischen Denkprozesse. Für alle emotionalen Prozesse sowie Bewertungs- und Entscheidungsprozesse hingegen wird das sogenannte limbische System als maßgeblich verantwortlich gesehen. Es erstreckt sich über Teile von Stamm- und Mittelhirn. Das limbische System läuft unbewusst und reagiert besonders schnell und wirksam auf alle Reize.
Was passiert in Konfliktsituationen?
In Konfliktsituationen nimmt unser Gehirn sowohl auf rational-analytischer Ebene als auch auf emotional gesteuerter Bewertungs- und Entscheidungsebene Informationen auf und verarbeitet diese. Das limbische System reagiert dabei um ein Vielfaches schneller als die rational-analytischen Prozesse. Wir handeln deshalb oft, bevor wir unsere vernunftgesteuerte Analyse abgeschlossen haben.
Für unser Überleben war und ist das eine sehr effiziente Arbeitsaufteilung. Für Konfliktsituationen, in denen es nicht um lebensbedrohliche Lagen geht, kann diese Aufteilung eher hinderlich erscheinen. Unbewusst feuern unsere Neuronen, ursprünglich um unser Überleben zu sichern. Heute und in Konfliktsituationen feuern sie genauso effizient, aber wohl häufiger und insbesondere dann, wenn wichtige motivationale Ziele bedroht sind.
Im Konflikt übernimmt scheinbar der „Autopilot“
Man kann also vereinfacht sagen, dass im Konflikt mit großer Wahrscheinlichkeit unser limbisches System die Steuerung übernommen hat und viel schneller reagiert als unser analytisches Denken. Doch natürlich können wir mit unserer Vernunft und unserem limbischen System so arbeiten, dass wir die Vorteile aus der Zusammenarbeit aller bewussten und unbewussten Prozesse im Gehirn schöpfen können.
Wie übernehmen wir in Konflikten wieder die Kontrolle?
Motivationale Ziele können, wie wir gesehen haben, treibende Kraft im Negativen – aber natürlich auch im Positiven sein. Ein (systemisches) Coaching startet daher immer zunächst mit der Zielarbeit, in der klare Zielsetzungen definiert werden. Nur dann können Verhaltensmuster nach ihrer Zieldienlichkeit hinterfragt und als wünschenswert bewertet werden.
Neurowissenschaftlich orientierte Coaching-Ansätze machen sich die oben beschriebenen neuronalen Funktionsweisen zu Nutze:
Sie zielen darauf ab a) die schnellen, unwillkürlichen Prozesse wirksam zu unterbrechen, b) dabei gewünschte Verhalten erlebbar zu machen und c) sogenannte Transferhilfen einzusetzen. Dies kann z. B. nach folgendem Muster passieren: Ihre ungewünschten und Ihre gewünschten Emotionen werden mit einer bestimmten Bewegung verknüpft und mit einer Übergangsbewegung miteinander verbunden nacheinander ausgeführt. Diese Bewegungsabfolge wird in „Trockenübungen“ einstudiert: Sie stellen vor, wie Sie in der Konfliktsituation z. B. so richtig wütend werden und starten dann die Bewegungsabfolge.
Die Körperbewegung hilft Ihnen, sich an das Wunschverhalten zu erinnern, sodass Sie das gewünschte Konfliktverhalten gedanklich erleben und durch Wiederholung einstudieren. Ähnlich wie bei einem Leistungssportler, der zur Vorbereitung wiederholt den Wettkampf im Kopf durchgeht, werden durch das mentale Training die gewünschten neuronalen Verknüpfungen geschaffen und gestärkt. Nach einer Zeit laufen diese mit Hilfe der Handbewegung fast wie von selbst und so schnell wie die Verknüpfungen Ihrer vorherigen Verhaltensweise ab. Der Trick dabei ist: Führen Sie die einstudierten Bewegungsabläufe in einer konkreten, realen Konfliktsituation aus, wird das gewünschte Konfliktverhalten quasi automatisiert mit hervorgerufen.
Im Coaching ist es einfacher!
Oftmals ist es für uns in Konfliktsituationen gar nicht so einfach, motivationale Ziele zu benennen und ungewünschtes und gewünschtes Verhalten klar zu differenzieren. Im Rahmen eines Coachings fällt es uns häufig leichter, einen Schritt zurückzutreten und die eigenen Gefühle, die Gedanken und das eigene Handeln zu hinterfragen. Auf der Basis der oben beschriebenen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse und weiteren Coaching-Instrumenten können Sie nicht nur das bewusste Denken, sondern auch die Dynamiken des limbischen Systems hinterfragen. Mit Hilfe von erstaunlich pragmatischen Vorgehensweisen können Sie i.d.R. deutlich einfacher Ihre Vorsätze erfolgreich umsetzen.