Der Begriff „Agiles Management“ geistert derzeit durch so manches Unternehmen und kündigt einen radikalen Führungswechsel an. Doch ist das wirklich so, oder reden wir hier von altem Wein in neuen Schläuchen? Klaus Kissel, Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales- und Managementberatung, Urbar, erkennt im aktuellen Hype eine Wiederbelebung bekannter Methoden, die aktuelles Management aber spannender macht.
Agiles Management heißt: Führung von Gruppen mit wenig Regeln und wenig Bürokratie, um Flexibilität und Schnelligkeit in der Produktivität und Ideenentwicklung zu gewinnen. Klingt zunächst einmal modern und richtig – aber ist das wirklich neu?
Nein, denn: Gute Führung von Teams hatte schon immer agile Anteile und es ist schlichtweg eine Grundhaltung, die jede Führungskraft verinnerlicht haben sollte.
Bereits Ende der 60er Jahre und in den Anfängen der 70er Jahre wurde die Faszination der Gruppendynamiklehre nach Deutschland getragen. Das hatte zur Folge, dass in vielen Unternehmen die Organisationen nach Teams ausgerichtet wurden. Teamführung war der neue Trend, um mehr Synergien zu gewinnen. Gruppendynamik fordert von den Führungskräften eine prozesshafte Führung. Die Intelligenz der Teams soll stärker genutzt werden und der Chef soll sich zurücknehmen. Anstelle langer Planungsprozesse einzelner Experten, gilt es die Sichtweisen vieler Mitarbeiter im Team zu nutzen und für eine tragfähige Lösung zu finden.
Sukzessive wurden mehr und mehr gruppendynamische Seminare von deutschen Firmen für Führungskräfte gebucht und in den 80er Jahren der Höhepunkt erreicht. Seitdem sind die Besucherzahlen rückläufig, obwohl agile Führung nichts anderes von Führungskräften fordert.
Grundsätze der Gruppendynamik werden im agilen Management wieder stärker gelebt
Es geht also bei agiler Führung nicht um eine Methode, die geschult wird. Vielmehr geht es um eine Haltung, wie und in welchen Situationen eine Führungskraft die Intelligenz von Teams mehr nutzen sollte und wann nicht. Vieles davon lässt sich in Klassikern der Führungsliteratur der 70 er Jahre bereits lesen (zum Beispiel schon bei Klaus Antons Klassiker „Praxis der Gruppendynamik“, Erstauflage 1973). Agile Führung von Teams ist also keinesfalls neu. Neu ist aber, dass die Grundsätze der Gruppendynamik in der heutigen Zeit eine neue Wiederbelebung erfahren.
Agiles Führen macht Sinn, wenn
- – sich viele Einflussfaktoren einer Situation nicht berechnen lassen,
- – die eigene Expertise der Führungskraft nicht ausreicht,
- – die Führungskraft auf die Weisheit des Teams vertraut und
- – ausprobieren, testen und lernen eine wirklich gute Alternative zum planen und managen ist, um so auch an kreative neue Ideen zu kommen.
Im agilen Management steuert die Führungskraft den Prozess. Fachliche und direktive Führung wird beschränkt, vielmehr begeistert die Führungskraft Gruppen für eine komplexe Herausforderung und nutzt deren Intelligenz. Sie sollte dabei
- – das Team in Bewegung bringen,
- – einen Rahmen (zeitlich, themenzentriert etc.) für die Entwicklung einer Lösung setzen und diesen Rahmen begleiten und
- – am Ende entscheiden oder eine Entscheidung herbeiführen. Agile Führung ist keine Demokratie, die Entscheidungsgewalt bleibt bei der Führungskraft.
Alt versus neu: Praxisbeispiel aus dem Vertrieb
Gerade im Vertrieb gibt es eine Vielzahl an komplexen Aufgaben, die mit agiler Führung besser zu lösen wären. Beispielsweise, wenn ein neues Produkt eingeführt wird.
Altes Managementvorgehen: Die Führungskraft delegiert den Vorgang an den besten Verkäufer im Team, er solle eine Ansprachetechnik/Vorgehen herausarbeiten und dies im nächsten Meeting vorstellen. Nach einer kurzen Diskussion wird diese den anderen Mitarbeitern als Empfehlung verordnet – dieses Vorgehen ist leider oft noch ein gängiger Alltag in vielen Unternehmen. Die Lernbereitschaft der Mitarbeiter ist niedrig. Dieses Vorgehen ist somit sicherlich nicht dienlich – denn im Vertrieb ist aufgrund der Vielzahl der beteiligten Personen davon auszugehen, dass es sich hierbei um eine komplexe Fragestellung handelt, die mit agiler Führung leichter lösbar wäre, ohne Widerstand zu produzieren.
Agiles Vorgehen: Viel einfacher wäre es, wenn die Führungskraft das Produkt und die kommende Vertriebsherausforderung vorstellt. Das Vertriebsteam wird danach in drei Untergruppen aufgeteilt, um verschiedene Ansprachestrategien herauszuarbeiten. Danach gibt es eine Praxisphase, in der die Strategien bei ausgewählten Kunden ausprobiert werden und danach in einem Reviewmeeting reflektiert werden. Die Identifikation mit der Lösung ist viel höher – das Expertenwissen viel breiter genutzt. Außerdem kommt das Team in eine schnelle Phase des Ausprobierens und Machens. Damit Vertriebsführungskräfte diese Form der Führung leben können, müssen sie häufig viel mehr in Richtung prozesshafter Führung ausgebildet werden.
Autor: Klaus Kissel, Geschäftsführer des ifsm Institut für Sales- und Managementberatung, Urbar
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