Extreme bestimmen den deutschen Arbeitsalltag: Wir sind Urlaubsweltmeister und dürfen uns über ein großzügiges Kontingent an Ferientagen freuen. Mit 41,3 durchschnittlichen Wochenarbeitsstunden liegen wir unter dem Mittel der EU. Andererseits übertreffen in Deutschland die psychisch motivierten Arbeitsausfälle schon seit längerer Zeit die traditionellen Verletzungen am Arbeitsplatz (z.B. Stürze, etc.). Diese psychosomatisch bedingten Krankschreibungen, die beispielsweise als Burnout erscheinen, führen obendrein zu deutlich längeren Fehlzeiten als die klassischen Arbeitsunfälle. Was läuft hier falsch?
Nein-Sagen
Sieht man sich den obigen Befund an, so kann man nur zu der Schlussfolgerung kommen, dass wir dazu neigen, in der relativ knappen Arbeitszeit alles, aber auch alles erledigen zu wollen. Nicht umsonst geht uns der Ruf von Perfektionisten und Ordnungsfanatikern voraus. Ordnung erleichtert das Wiederfinden und ohne den Anspruch auf Perfektion wäre der deutsche Außenhandelsüberschuss nicht denkbar. Ob Produkte oder Prozesse: auf vielen Gebieten liefern wir einfach Besseres als unsere ausländischen Konkurrenten. Das alles hat seine Richtigkeit. Dennoch muss sich der Einzelne immer wieder seine Grenzen vor Augen führen: Sorgfalt benötigt genauso Zeit wie Kreativität. Wenn wir unseren zeitlichen Einsatz immer weiter ausdehnen, gefährden wir unsere Regeneration und unsere familiären und sozialen Verbindungen. Auch diese brauchen ihre Zeit. Und unsere berufliche Leistung ist auf die Wiederaufladeenergie aus diesen Quellen angewiesen.
Sicher: mit mehr Erfahrung und verbessertem „Werkzeug“ können wir in gleicher Zeit mehr erreichen. Dies funktioniert aber nicht unendlich. Es kommt der Punkt, an dem wir die Verantwortung für uns selbst ernst nehmen müssen und dem Überbringer neuer Arbeitspakete ein klar formuliertes und begründetes „Nein“ entgegenhalten müssen. Auch wenn die Situation grob verkürzt und vereinfacht ist: wenn niemand anderes auf unseren Energie- und Zeithaushalt schaut, sind wir selbst gefordert. Das „Nein“ kann viele Varianten und Angebote enthalten, aber im Kern muss deutlich werden: Ein Mehr an Aufgaben ist mit meiner Gesundheit und meiner langfristigen Leistungsfähigkeit zum Wohle des Unternehmens nicht vereinbar.
Weniger Emails
Keine Frage: E-Mail und Videokonferenzen haben die Distanzen verringert und den Informationsaustausch entscheidend beschleunigt. Aber wo viel Sonne ist, werden die Schatten konturierter: Im Jahre 2000 wurden in Deutschland 32 Milliarden Emails geschrieben (wohlgemerkt ohne Spam-Mails). Für das laufende Jahr beläuft sich die Schätzung auf gut 900 Milliarden. Haben wir wirklich 30mal mehr zu sagen als vor 18 Jahren? Ist unser Know-how-Stand tatsächlich um diesen Faktor gewachsen? Oder verlagern wir unsere Kommunikation zunehmend aus anderen Kanälen heraus und produzieren deswegen kommunikative Misswirtschaft? Zum persönlichen Gespräch verhält sich die Email wie ein Fastfoodladen zum Gourmettempel: fast alles ist der Primärforderung nach Hochgeschwindigkeit unterworfen. Mit diversen Folgen:
Wir tippen los, ohne groß nachzudenken. Bei eingeschaltetem PC liegt der Schwellenwert zum Tätigwerden noch niedriger als beim Ergreifen des Telefonhörers. Vom Aufdrehen eines Füllfederhalters mal ganz zu schweigen.
2. Die Verlockung, Standards der schriftlichen Kommunikation außer Acht zu lassen und Anrede und Schlussformel – wenn überhaupt – nur noch in Schrumpfform – einzutasten, steigt kontinuierlich.
3. Grammatik und Orthographie – formulieren wir es moderat – verlieren an Einfluss.
4. Getrieben von der Vorfreude auf Echtzeitversendung und dem Glauben, die Sache „erst mal vom Tisch“ zu haben, schicken wir impulsiv irgendwas los. Die Agenda im Bildschirm wird kürzer. Ein Gefühl von Befreiung durch Erledigung macht sich in uns breit. Nur führt die gewählte Kommunikationsschnellstraße leider oft zu Nachfragen, Unverständnis und einem Rattenschwanz an erklärenden oder entschuldigenden Folgemails im Hin und Her.
Oft ist die Email oder die mit ihr vermeintlich gelöste Aufgabe dadurch zeitaufwändiger als es ein vorbereitetes Telefonat gewesen wäre. Emails sind oft wie Bumerangs: sie kommen stressbeladen zurück. Überlegen Sie kritisch, ob die E-Mail in jedem Kommunikationsfall und zuallererst weiterhin das ideale Informationsmedium darstellt.
Pausen mit Bewegung
Neuere Studien deuten darauf hin, dass nicht als erstes der Bewegungsmangel das Leben verkürzt, sondern das Ausmaß der sitzend verbrachten Lebenszeit. Dies allein sollte schon ein guter Grund sein, den Schreibtisch häufiger zu verlassen. Der Hang zum „Durcharbeiten“ geht zu Lasten der Qualität! Wenn wir unserem Gehirn immer mal wieder frische Luft und geänderte Umfeldperspektiven genehmigen, dankt es uns dies mit besserer Arbeitsqualität als bei Dauerbelastung. Warum gibt es in der Schule spätestens nach der Doppelstunde eine Pause? Warum wird das Theaterstück in drei, vier oder fünf Akte aufgeteilt? Weil sich nach der Pause Aufmerksamkeit und Verarbeitungsbereitschaft wieder auf einem deutlich höheren Niveau befinden. Warum sollte dies nicht auch für das Gehirn im Büro gelten? Selbst ein nur vorgeschützter Toilettengang von ein paar Schritten samt Umgebungswandel kann zu entspannterem und damit auch wirksamerem Arbeiten verhelfen.
Natürlich gibt es viele weitere Schrauben, mit denen wir unser Stressaufkommen dämpfen können, aber eine substantielle Erleichterung wird ohne die Beachtung der drei genannten Faktoren kaum möglich werden.