Die Krankheitsquote von Call-Center-Agenten ist hoch, lässt sich aber nachhaltig senken. Wie Sie erkennen, unter welchen Voraussetzungen gesundheitspräventive Maßnahmen wirksam sind.
Call-Center-Agenten erkranken etwa doppelt so häufig wie andere Arbeitnehmer. Das Ergebnis einer aktuellen TK-Studie ist für diejenigen, die mit der Arbeit in Call Centern vertraut sind, nicht überraschend – eher folgerichtig. Denn die Belastungen, die aus dem Umgang mit häufig schwierigen Kunden, den ehrgeizigen Zielvorgaben und dem Kostendruck des Arbeitgebers resultieren, sind enorm.
Eine wirkungsvolle Prävention sollte auf drei Ebenen ansetzen: bei Unternehmenskultur und Führung, bei den Prozessen und Strukturen sowie bei den Mitarbeitern mit ihren Einstellungen und ihrem Verhalten. Der Aufwand lohnt, denn insbesondere in Call Centern wird deutlich, dass die Mitarbeiter tatsächlich das wichtigste Kapitel des Unternehmens sind. Und wer die Fehlzeiten- und die Fluktuationsquote senkt, spart zudem eine Menge Geld ein.
Hinsichtlich der Unternehmenskultur und Führung sind Werte zu verankern, die die Leistungsfähigkeit der Agenten mittelbar beeinflussen, etwa Respekt und Anerkennung, Kollegialität und Fairness. Zunächst gilt es, dass Führungskräfte und Mitarbeiter gemeinsam die Ziele, das Vorgehen und die Maßnahmen der Gesundheitsförderung erörtern. Das Einbeziehen der Beschäftigten ist wichtig, um deren Eigenverantwortung und Initiative zu fördern. Das Engagement der Führungsebene wird benötigt, da sie die zentralen Promotoren sein sollten und ihren Beitrag zu einer „gesunden“ Führung leisten und „von oben nach unten“ vorleben, was auch von den Mitarbeitern erwartet wird.
Des Weiteren ist es wichtig, Belastungsmuster zu enttabuisieren und zu hinterfragen, wie mit vermeintlichen „Schwächen“, etwa Burnout, umgegangen wird. Anerkennung und Wertschätzung der enormen Belastungen, denen die Agenten Tag für Tag acht Stunden lang aushalten müssen, reicht zwar bei weitem nicht, bedeutet den Mitarbeitern jedoch sehr viel.
Schnell wirksame Effekte möglich
Auf Organisations- und Prozessebene sollte analysiert werden, welchen Belastungen die Agenten tagtäglich ausgesetzt sind und welche Unterstützung diese benötigen. Auch die Arbeitsbedingungen gehören auf den Prüfstand, also Großraumbüro, Lärmpegel, Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Möbel und Beleuchtung. Bereits mehr Ergonomie, ein durchdachtes Pausenmodell und Ausgleichsmöglichkeiten ermöglichen – schnell wirksam – deutliche Effektivitätssteigerungen in Call Centern und verbessern Wohlbefinden sowie Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter.
Die Erkenntnisse, die aus Geschäftsprozessanalysen und Mitarbeiterbefragungen resultieren, sollten in konkrete Empfehlungen zum Gesundheitsschutz münden. Ansatzpunkte zur Entlastung der Agenten bieten zum Beispiel Maßnahmen zur horizontalen Aufgabenerweiterung, die einen Belastungswechsel ermöglichen. Dazu übernehmen Mitarbeiter etwa Dokumentationstätigkeiten oder die Vorbereitung von Kampagnen.
Positiv wirken sich erweiterte Handlungsspielräume der Agents aus. Dies können zum Beispiel planende, steuernde und kontrollierende Tätigkeiten wie Erstellung und Verbesserung von Gesprächsleitfäden, Auswertung von Statistiken, technischer Support, Personaleinsatz oder Coaching neuer Mitarbeiter sein. Auch Job Rotation, der zeitlich befristete Wechsel in andere Tätigkeitsfelder, mindert einseitige Belastungsrisiken und vergrößert Handlungs- und Entscheidungskompetenzen für die Beschäftigten, gut für deren Arbeitszufriedenheit.
Individuelle Gesundheitsressourcen stärken
Auf individueller Ebene lautet das Ziel, die persönliche Gesundheitskompetenz der Agenten zu erweitern. Dazu eignen sich Informationen über die wesentlichen Säulen der Gesundheit: Ernährung, Bewegung, Entspannung. Bewährt haben sich Seminare, in denen die Agents befähigt werden, wirksam mit Konflikt- und Stresssituationen umzugehen. Das Erlernen von Entspannungstechniken, die während oder nach schwierigen Gesprächssituationen eingesetzt werden können, helfen außerdem, unmittelbare Stressspitzen abzufangen und die eigene Regenerationsfähigkeit zu fördern.
Agenten sind immer häufiger schwierigen Kunden und negativen Emotionen ausgesetzt. Daher ist es wichtig, dass sie lernen, wie sich negative Gedanken- und Gefühlsspiralen unterbrechen lassen. Die Reflektion und Erweiterung der Bewältigungsstrategien beugt zudem Burnout vor. Training, Coaching oder Supervision sind zu empfehlen, um geeignete Selbstmanagementtechniken zu erlernen. Auch gesundheitsbezogene Weiterbildungen, etwa Augentraining, Stimm- und Sprechtraining oder Rückenschulen, zahlen sich unmittelbar aus. Zudem sind alle Aktivitäten, die dazu beitragen, die Gesundheitsressourcen der Mitarbeiter zu stärken, Voraussetzung dafür, das eigentliche Ziel von Call-Center-Betreibern zu erreichen: ihre Servicequalität zu verbessern.
Checkliste: Was beim betrieblichen Gesundheitsmanagement zu beachten ist
1. Beziehen Sie alle relevanten Ebenen ein: Kultur und Führung, Arbeitsorganisation und Prozesse sowie individuelle Gesundheitsförderung.
2. Planen Sie kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen.
3. Sorgen Sie für wechselnde, unterschiedliche Aufgaben der Mitarbeiter.
4. Flexibilisieren Sie Belastungsphasen.
5. Rechnen Sie mit Hemmnissen, wenn es darum geht, die angestrebten Ziele zu erreichen.
6. Bereiten Sie Ihre Führungskräfte auf ihre neuen Aufgaben sorgfältig vor.
7. Beziehen Sie die Mitarbeiter in die Gestaltung der Arbeitsorganisation mit ein.
8. Enttabuisieren Sie Belastungsmuster und vermeintliche „Schwächen“.
9. Veranlassen Sie Qualifizierungsmaßnahmen zum Aufbau von Selbstmanagement- und Selbstwirksamkeitskompetenzen.
10. Ermöglichen Sie individuelle Maßnahmen zur Gesundheitsförderung.
11. Werten Sie alle Maßnahmen regelmäßig aus.
12. Handeln Sie, bevor die Krankenquote „explodiert“.