Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Märkte werden umgewälzt, Kundenverhalten verändert sich, Kriterien für Erfolg definieren sich neu. Algorithmen übernehmen zunehmend Aufgaben. Arbeiten 4.0 wird dynamischer, crossfunktionale Teams organisieren sich selbst. Die Parameter von Führung werden neu geschrieben. Wie können Führungskräfte sich selbst befähigen, diese neuen Parameter zu beherrschen und ihren Job exzellent auszufüllen?
Agil ist der neue Treiber der Wirtschaft. Die Folge: Das System Unternehmen wird schneller. Der Arbeitsplatz auf Lebenszeit ist passé, der feste Schreibtisch bei Vielen bereits ebenfalls. Alte Führungsprinzipien überleben sich. Ober sticht nicht mehr Unter und Bottleneck-Management führt auf den Müllhaufen der Managementgeschichte.
Aber Vorsicht. Agil ist keine Wunderwaffe und kann schnell verpuffen. Dann, wenn agil „top down“ verordnet und nicht zum Mindset des gesamten Unternehmens wird. Und eben dann, wenn die Führungskraft nicht in die Lage versetzt wird, agil führen und handeln zu dürfen, aber auch zu können.
Was zeichnet agile Führung aus?
Zunächst geht es um die gleichen Kennzeichen guter Führung wie bisher auch: Mitarbeiter so zu führen, dass sie im Sinne des Unternehmens ihr Bestes geben. Wann geschieht das? Dann, wenn sich Mitarbeiter dem Unternehmen zugehörig fühlen, ihm loyal sind. Dann, wenn Menschen sich innerhalb des Unternehmens weiterentwickeln können. Und dann, wenn Mitarbeiter Wertschätzung für Person und Leistung erfahren: Menschen werden von Menschen bewegt, nicht von Algorithmen.
Was wird anders?
Drei wesentliche Faktoren: einmal die Schnelligkeit, mit denen Prozesse vorankommen müssen, zweitens die darin enthaltene Unsicherheit durch erhöhtes Risiko und drittens die zunehmende Selbstorganisation von Teams. In dieser volatilen Umgebung basiert agile Führung weniger denn je auf klassischen Management-Tools, sondern auf Persönlichkeit und Haltung.
Agile Führung setzt auf Transparenz und Kollaboration. Sie geht weg von Ego und statischer Hierarchie hin zu einem dynamischen Selbstbild. Statt kleinteiliger Kontrolle muss die agile Führungskraft ihren Mitarbeitern bei deren Selbstorganisation mehr Vertrauen entgegenbringen können. Dazu moderiert agile Führung Prozesse und ordnet sie nicht an. Heißt, sie ist mittendrin und nicht obendrüber. Agile Führung bedeutet Dienstleistung. Die agile Führungskraft wird zum Coach ihrer Mitarbeiter, um diese für ihre Aufgabe bestmöglich zu befähigen, sie also zu empowern.
Empowerment ist das Leadershipwort der agilen Stunde
Auch Führungskräfte brauchen Empowerment. Mit dem Wegfall der äußeren Strukturen − Hierarchie, Status, Sicherheit − rückt der Einzelne in den Fokus. Er wird kraft seiner Persönlichkeit zum stärksten Motor, zur wichtigsten Ressource, zum größten Potential. Die Selbstverständlichkeit der Rolle wird ersetzt durch persönliche Kompetenzen. Benötigt wird die in sich gefestigte Persönlichkeit. Laut Boris Gloger ist agile Führung der erste Managementansatz, der konsequent die eigene Person als Ausgangspunkt der Veränderung betrachtet.
Dies birgt Chancen wie Risiken, denn die größte Herausforderung in der agilen Transformation ist der Mensch selbst. So digital die Welt, die er geschafften hat, so analog, ja archaisch ist er selbst geblieben. Er agiert am liebsten nach wiederkehrenden Mustern, die Energie sparen, ihn entlasten, ihm Sicherheit vermitteln. Mit Veränderungen tut er sich schwer. Agilität liefert aber gerade keine Routine-Rezepte. Deshalb macht Agilität die Entwicklung der Persönlichkeit und ihrer Soft Skills als Orientierung und Sicherheit gebendes Fundament, als Ressourcenlieferant für ständigen Wandel zur conditio eine qua non. Selbstreflexion, Selbstdisziplin und damit Selbstführung werden unverzichtbar.
Wie kann sich die Führungskraft selbst empowern?
Führung fängt immer bei sich selbst an. Die narrative Psychologie geht davon aus, dass sich unsere persönlichen Ressourcen in der eigenen Biografie finden, in den Geschichten, die wir über unser Leben erzählen. Der Psychologieprofessor Dan McAdams hat daraus die Life-Review entwickelt, eine narrative autobiografische Introspektion. Sie gibt anhand erinnerter Geschichten aus dem eigenen Leben Aufschluss darüber, welche Muster das eigene Leben bestimmen, wo diese Muster förderlich sind, wo hinderlich und wie sie sich verändern lassen. In insgesamt fünf Kapiteln werden bedeutsame Lebenszusammenhänge reflektiert und dienen so als wichtige, individuelle Ressourcenquelle für das Anforderungsprofil an die agile Führungskraft:
Im Themenkomplex Schlüsselszenen erzählen erinnerte Geschichten, wie Entscheidungen in der Familie getroffen wurden, wie das Menschenbild war, wie der Umgang miteinander. Ob Vertrauen oder Kontrolle vorherrschten, Ermutigung oder Vorsicht. Ein Manager, der viel Kontrolle aus seinem Elternhaus erfahren hat, wird sich schwer tun mit Vertrauen. Dieses Muster zu hinterfragen und zu verändern wird eine wichtige Aufgabe sein. Ganz wichtig auch die Frage, welche Wendepunkte gab es im Leben?
Neben diesen Schlüsselszenen sind die Fragen nach dem persönlichen Wertefundament wichtig, nach der persönlichen Motivation, nach Zielen und Visionen für das eigene Leben. Eng damit verbunden ist die Frage nach der inneren Haltung, nach den eigenen Prinzipien, nach dem persönlichen Menschenbild und dem Umgang miteinander.
Agiles Führen wird sich immer durch menschliche Eigenschaften auszeichnen
Daraus schält sich die wichtigste Reflexion, die nach den beständig wiederkehrenden persönlichen Mustern und Glaubenssätzen. Ein eher zur Vorsicht, zur Absicherung tendierender Manager wird im agilen Mindset vor großen Herausforderungen und damit vor der Aufgabe stehen, dieses Muster zu verändern.
Persönliches Kommunikationsverhalten gehört ebenfalls in diesen Life Review, an dessen Ende die Frage nach den Herausforderungen steht, die im Leben schon erfolgreich gemeistert wurden und als Blaupausen für persönliche Ressourcen dienen können.
Die persönliche Reflexion dieses Life Reviews bildet eine individuelle Tool-Box, die nicht nur für agile Führung wegweisend ist, sondern auch bei herkömmlicher Führung den entscheidenden Unterschied ausmacht.
Sicher bleibt, dass Führung in digitalen Zeiten weiter notwendig sein wird. Auch Algorithmen und sich selbst organisierende Teams verlangen Steuerung. Sicher ist ebenso, dass sich agiles Führen mehr denn je durch hohe Selbstreflexion und Selbststeuerung sowie durch zutiefst menschliche Eigenschaften auszeichnet, die − noch − kein Algorithmus beherrscht: persönliche Kommunikation, Zuhören, Empathie, Wertschätzung, in sich Gefestigt sein.