Sucht man nach verbindenden Elementen zwischen Coaching-Prozessen mit Führungskräften, kristallisiert sich eines schnell heraus: der Mangel (und manchmal die völlige Abwesenheit) von Wertschätzung der eigenen Arbeit durch die Vorgesetzten. Je nach Motivationsstruktur führt das zu mehr oder minder starker Verunsicherung, Risikoscheu oder Fehlervermeidungsverhalten. In einigen Fällen leiden die Betroffenen bis tief in ihr Privatleben darunter, dass ihre Leistung für das Unternehmen als selbstverständlich angenommen wird oder – noch belastender – lediglich über Fehler oder Defizite gesprochen wird.
Folgerichtig ist dieses Thema häufig unmittelbarer Gegenstand des Coachingprozesses. Und natürlich können Klienten eine Reihe von (veränderten) Aktionsmustern entwickeln, um ihre Chefs zu mehr Empathie und Wertschätzung zu bewegen – also um etwas mehr von dem zu bekommen, was für sie leistungsfördernd wirkt. Ich persönlich halte das jedoch für den falschen Ansatz.
Wir können nun mal die Menschen um uns herum – insbesondere unsere Chefs – weit weniger zu einem veränderten Handeln bewegen, als uns lieb wäre. Deren (Un-)Art der Führung, deren jahrelang zementierte Erfolgsmuster könnten diese nur selbst fundamental verändern. Wenn sie es denn wollten. Und dieser Aspekt der „Freiwilligkeit der Veränderung“ ist in den meisten Fällen nicht gegeben.
Statt also mühsam und mit geringer Erfolgsaussicht am vermeintlichen Auslöser ihrer Unzufriedenheit herumzudoktern, bestärke ich Führungskräfte im Coaching darin, eine veränderte Sicht auf das Problem einzunehmen. Den eigenen Fokus radikal umzulenken von „wie viel Wertschätzung bekomme ich“ auf „wie viel Wertschätzung gewähre ich“. Dem Umgang mit sich selbst und seiner (Arbeits-) Umwelt mehr Aufmerksamkeit zu geben und die Führungsdefizite des eigenen Vorgesetzten damit weniger wichtig werden zu lassen. Dazu betrachten die Klienten im Coaching ihre eigene wertschätzende Wirkung auf drei Ebenen.
1. Wertschätzung mir selbst gegenüber
Das eigene Handeln als wertvoll und richtig zu betrachten, ist mitnichten eine Selbstverständlichkeit. Oft gibt es in unseren inneren Dialogen genügend Kritiker und Zweifler, die uns in destruktive Diskussionen mit uns selbst verwickeln. Äußerst kraftvoll wirkt hingegen, wenn wir uns dem bewusst entgegenstellen. Wenn wir unsere Selbstreflexion grundsätzlich wertschätzend (auf uns bezogen) gestalten, unsere Handlungen und deren Ergebnisse vor allem aus der Perspektive ihres Nutzens bewerten. Die Kurzformel lautet „Ich finde das, was und wie ich es mache, grundsätzlich gut.“ Oft müssen wir dabei etwas Widerstand unserer Sozialisation überwinden („Lobe dich nicht selbst!“), doch es ist die Mühe wert.
Es existiert eine Reihe einfacher Tools, um diese Einstellung zu initiieren und zu manifestieren. Haben wir dieses Bewertungsmuster für uns etabliert, stärken wir damit unmittelbar unseren SELBST-WERT.
2. Wertschätzung für die Menschen um mich herum
Mangelnde Wertschätzung durch Vorgesetzte führt zu Instabilität und Unsicherheit. In dieser Situation neigen wir dazu, die Menschen um uns herum in „potentielle Unterstützer“ und „potentielle Bedroher“ zu kategorisieren. Diese Stereotype helfen uns, die Komplexität der Umgebung zu reduzieren – aber natürlich tun wir Menschen unrecht, wenn wir sie in diesen simplen Schubladen verorten. Viel hilfreicher ist, ihnen grundsätzlich mit Neugier, Aufmerksamkeit, Respekt – Wertschätzung zu begegnen.
Und das eben nicht nur in deren Interesse: Menschen generell zu mögen, fördert unsere innere Stabilität und Ausgeglichenheit enorm. Natürlich gibt es hier kein schwarz-weiß: eine gesunde Wachheit für soziale Dynamiken sind immanenter Teil unserer Führungsqualifikation. Doch grundsätzlich gilt auch hier: je mehr wir mit dem individuellen Menschen um uns herum „im Reinen“ sind, umso weniger Energie wenden wir unbewusst für Koalitions-, Defensiv- oder Angriffsstrategien auf.
3. Wertschätzung für das berufliche System
Als Führungskräfte sind wir Teil eines unternehmerischen Systems. Eines Konstrukts, welches in der Regel viel älter als unsere Firmenzugehörigkeit ist und das unseren Pensionseintritt vermutlich überdauern wird. Eine gewachsene Kultur, bekannte und unausgesprochene Regeln, sichtbare und verborgene Hierarchien und Strukturen, von Inhabern oder Vorständen getriebene Meta-Entwicklungen sind der Stoff, der dieses System zusammenhält. In unserer Rolle können wir einiges davon beeinflussen – in bester Absicht und progressiv natürlich. Aber mit den meisten Elementen dieser beruflichen Umwelt sollten wir einfach unseren Frieden machen.
Eine grundsätzliche Wertschätzung des Unternehmens als ein „System mit Herkunft“ – eines erwachsenen Organismus gewissermaßen – macht uns natürlich nicht frei von der Verantwortung, unseren Verantwortungsbereich engagiert und mutig voran zu treiben. Doch es liegt eine starke Kraftquelle darin, die gewachsenen, systemimmanenten Dynamiken respektvoll anzunehmen, statt sie als persönliche Herausforderung zu betrachten.
Führungskräfte können also auf drei Ebenen entscheiden, wie viel Wertschätzung sie investieren – aufwenden, gewähren. Unseren eigenen Winkel der Betrachtung, die Tiefe und Authentizität dieser Sicht gestalten wir bewusst und nahezu unabhängig. Wie viel wirksamer und sinnvoller ist diese veränderte Perspektive, statt sich mühevoll um mehr wertschätzende Zuwendung des Vorgesetzten zu bemühen.
Gelingt dieser Betrachtungswechsel, machen sich die betroffenen Führungskräfte weitestgehend frei von dem Wunsch nach mehr positiver Würdigung durch ihre Chefs. Und all die Energie, die bisher darauf ver(sch)wendet wurde, es diesen „irgendwie recht zu machen“, seine Anerkennung zu erringen, wird umgeleitet auf kraft- und freudvolles Handeln im Sinne der eigenen Rolle in der Organisation.