Während daheim die Steuererklärung wochenlang wartet, wandert im Büro seit Monaten ein To-Do von der einen auf die andere Liste. Prokrastination ist der Fachbegriff für solch ein zwanghaftes Aufschieben unliebsamer Aufgaben. Wer einmal in der Aufschieberitis-Falle sitzt, kommt nur schwer wieder heraus. Doch es gibt Hilfe.
XING Coaches: Warum neigen wir dazu, Aufgaben aufzuschieben?
Dr. Sophie Manthey: Nehmen wir das Beispiel Prüfungsvorbereitungen. Es gibt diejenigen, die einfach für jede Prüfung zu spät lernen. Damit nehmen sie sich die Möglichkeit, sich gut vorzubereiten – und können eigentlich nur scheitern. Tritt dieser Fall ein, wird das Scheitern auf die fehlende Zeit geschoben. Bei manchen Menschen steckt dahinter Versagensangst. Zuzugeben, dass man etwas nicht kann, erzeugt immer mehr Schmerz, als es auf andere Gründe zu schieben – wie eben mangelnde Zeit.
XING Coaches: Kann ein Aufschieben auch zum Zwang werden?
Dr. Sophie Manthey: Tatsächlich kann ein solches Verhalten zwanghaft werden. Daher ist es sehr wichtig, nach den Beweggründen für das Aufschieben zu fragen und an diesem Punkt anzusetzen. Im obigen Beispiel wäre es der Schutz vor der Versagensangst. Sie sollten sich fragen, an welcher Stelle es bei Ihnen persönlich hängt. Die Gründe für ein Aufschieben von Aufgaben sind teilweise bei oberflächiger Betrachtung nicht wahrzunehmen.
XING Coaches: Es gibt Stimmen, die die technische Entwicklung rund um Smartphones & Co. mit der Aufschieberitis in Verbindung bringen. Was ist dran an dieser Theorie?
Dr. Sophie Manthey: Früher musste man noch Briefe schreiben, heute wird schnell eine E-Mail verfasst und innerhalb weniger Minuten in China zugestellt. Jeder dieser technischen Vorteile bringt aber Nachteile mit sich – zum Beispiel die E-Mail-Flut. Hinzu kommt die Omnipräsenz der sozialen Medien. Experten rund um den Globus beschäftigen sich damit, dass wir so lange wie möglich bei Facebook, Twitter und Co. unterwegs sind. Dabei ist die Formel für die eigene Motivation ganz einfach: Erfolg. Und den haben wir bei Facebook leider umgehend, wenn sie dort etwas machen. Das führt letztlich dazu, dass wir weniger Zeit haben, die wirklich wichtigen Dinge zu erledigen.
XING Coaches: Womit wir beim Thema Motivation wären. Wie kann ich mich selbst für eine Aufgabe motivieren?
Dr. Sophie Manthey: Sich ein Ziel zu stecken und dieses erst nach einem halben Jahr zu erreichen, kann grundsätzlich jeder. Wenn ich aber jeden Tag auf den sozialen Netzwerken rumhänge, gewöhne ich mich an den schnellen Erfolg. Um mich von dieser Haltung zu lösen, hilft es, Sie sich fragen: Wer bin ich und was macht mir Spaß? Ist das Sport oder tüftele ich gerne mit meiner Modelleisenbahn herum? Es gibt gewisse Dinge, auf die wir motiviert hinarbeiten können. Haben wir dann noch ein gutes soziales Umfeld (Arbeitsumgebung mit netten Kollegen), sind wir natürlich deutlich gewillter, länger für den Erfolg zu arbeiten. Erfolg, Spaß und nette Mitmenschen sind das A und O für ein gesundes Selbstwertgefühl und umgekehrt. Und haben wir ein gesundes Selbstbewusstsein, können wir leichter sagen: ‚Ich brauche jetzt vier Wochen bis zu meinem Erfolg – oder bis ich ein Projekt abgeschlossen habe.‘
XING Coaches: Was kann ich machen, um selbst nicht an einem Punkt festzuhängen und wieder anzufangen, Aufgaben aufzuschieben anstatt sie zu erledigen?
Dr. Sophie Manthey: Im Endeffekt gibt es keine Präventionsmaßnahmen. Sie müssen grundsätzlich die Augen offenhalten. Damit jemand sich verändert, muss er eine entsprechende Motivation haben und die kann in einem gewissen Leidensdruck bestehen. Eine Veränderung macht Angst und um die zu überwinden braucht es ein gewisses Maß an Energie.
XING Coaches: Welche Hilfen kann ich intern oder auch extern in Anspruch nehmen?
Dr. Sophie Manthey: Die wenigsten Unternehmen haben Hilfen intern installiert bzw. einen Ansprechpartner, an den man sich wenden kann. Wenn es solche Personen gibt, werden sie häufig nicht in Anspruch genommen. Leider ist für viele das Thema Coaching nicht selbstverständlich – anders als in Amerika. Dort gehört ein eigener Therapeut fast schon zur Etikette. Coaching ist immer höchst individuell. Meine Erfahrung hat gezeigt, dass man in den Sitzungen ziemlich schnell auf den Punkt kommt. Es sei denn natürlich, man hat ein größeres Problem. In der Regel kann sich jeder relativ rasch wieder selbst motivieren und neuen Elan verschaffen. Einige Unternehmen holen sich mittlerweile auch einen externen Coach zur Hilfe. Noch ist eine gewisse Skepsis vorhanden, aber es passiert etwas. Gerade im privaten Bereich ist Coaching ein sehr guter Weg um an sich zu arbeiten.
XING Coaches: Gibt es vielleicht auch Apps, die mir im Kampf gegen die Prokrastination helfen?
Dr. Sophie Manthey: Ich weiß, es gibt Apps. Aber für mich ist das wieder das Arbeiten an der Oberfläche. Vielleicht funktioniert dieser Organisationsansatz für ein halbes Jahr. Doch sobald uns der Alltag wieder eingeholt hat, fallen wir in alte Verhaltensmuster zurück. Sie sollten entsprechend an den Verhaltensstrategien ansetzen, anstatt sich auf eine neue Herausforderung einzulassen: nämlich das richtige Nutzen der Apps.
Autorin: Dr. Sophie Manthey
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