Den Wandel der Arbeitswelt begleiten zunehmend neue Umgangsformen: Per Du sein mit dem Chef und Sneakers statt Stilettos im Business-Alltag. Warum es sich in Zeiten von New Work und Start-ups trotzdem lohnt, an stilvollem Auftreten und ein paar altbewährten Umgangsformen festzuhalten.
Es war so ein typisches Projektmeeting unserer Neuzeit, bei dem Protagonisten verschiedenen Alters aufeinander treffen. Der Älteste – nennen wir ihn Michael –, ein im Berufsleben gesetzter Controller, trug die Kluft, die er von je her gewohnt war: Dunkler Anzug mit Lederschuhen, weißes Hemd. Die Krawatte hat er noch nicht abgelegt.
Nicole, ihres Zeichens Personalverantwortliche und zehn Jahre jünger, hatte sich für eine gepflegte Jeans mit Bluse und Lederblazer entschieden, dazu Ballerinas, denn sie ist groß und möchte das (wie viele hoch gewachsene Frauen ihres Alters) im Business-Talk mit Männern nicht noch betonen.
Bei gepflegtem Small-Talk warten beide auf den dritten im Gespräch, einen High Potential, der schon früh komplexe Projekte übernommen hatte, und neu im Unternehmen war. Auf den leisen Sohlen, die Sneakers eigen sind, betritt dieser sieben Minuten nach der verabredeten Zeit den Raum: „Hi, ich bin der Jan! Wir können uns duzen,“ verkündet er, um dann ohne Umschweife ins Thema einzusteigen, denn er hat wenig Zeit mitgebracht. Für den Termin mit den beiden Seniors seines Unternehmens hatte er passend zu den Schuhen seine lässigste Jeans gewählt, dazu ein gekrempeltes Hemd, welches er „untucked“ über der Hose trug.
Der verlorene Dresscode
Dieses Szenario beschreibt weitgehend, was hinter den Kulissen Deutscher Unternehmen gerade vor sich geht: Die Dresscodes stehen Kopf, und mit ihnen geraten auch gewohnte und durchaus funktionierende Rituale des geschäftlichen Miteinanders ins Wanken. Viele Führungskräfte kämpfen heute um die Einhaltung von Standards, um der gelebten Wertschätzung in ihren Teams noch Raum zu geben. Händedruck mit Blickkontakt? Der Austausch von Visitenkarten? Die gute alte Pünktlichkeit? Mit dem Siegeszug der Sneakers scheint sich auch das davon zu schleichen.
Nicht, dass die Turnschuhe daran Schuld wären, sie sind nicht Ursache, sondern Symptom einer Denke, die noch einmal überdacht werden will. Oder dass ein lässiger Look eine Sache der Generation sei: Es gibt in allen Jahrgängen betont „casualisierte“ oder aber dem angezogenen Look verschriebene Typen. Und bei dem sehr jungen Nachwuchs, der heute Anfang Zwanzig ist, gelten Jogginghosen im Supermarkt ohnehin als stillos. Hier finden wir vielfach wieder ein hohes Interesse an traditionellen, stilistischen Fragen.
Wie gute Manieren die Karriere ankurbeln
Jan hat sich nach eigener Ansicht unverwechselbar authentisch gegeben, ohne sich auch nur ein Jota (griechisch: das Allergeringste) anzustrengen…pardon: „zu verstellen“. Nur hat er sich damit an jenem Tag auch keine Freunde gemacht. Und die braucht man im Geschäftsleben! Deshalb ist es nicht nur innerhalb gemischter Teams, sondern vor allem im Umgang mit Kunden eine gute Idee, ein paar Fahnen hochzuhalten, die so viel mehr sein können als pure Symbolik. Der wertschätzende Umgang miteinander vertieft die menschliche Seite, welche Basis jeder guten Zusammenarbeit ist. Vertrauen entsteht eher selten im Gespräch über Zahlen, Daten und Fakten, sondern vielmehr, wenn wir übereinander etwas wissen und die richtigen Signale des zwischenmenschlichen Umgangs auch die Werthaltung dahinter offenbaren. Wie viel Arbeitsgüte ist zum Beispiel von jemandem zu erwarten, dessen Kleidung verrät, dass ihn Qualität nicht interessiert?
Und selbst wenn der Sneaker mit Liebe, Sorgfalt und Trendgespür erworben wurde und dieses spezielle Modell schon Kult-Charakter hat, ist die Frage, ob das beim Gegenüber auch so ankommt. Es gilt der Empfängerbezug – damit auch die anderen Beteiligten „gut aussehen“ und sich gut fühlen. Es darf nicht egal sein, wie es dem anderen im Zusammensein geht.
Moderne Relikte aus vergangener Zeit
Zwischen Höflichkeit und verstaubtem Benimm darf es also ruhig ein paar Regeln geben, welche in der DNA von Teams und Unternehmen verankert bleiben sollten – unabhängig von der Generation. Schließlich mag sich niemand als Person ignorieren lassen, auch die coolste Type nicht.
Man grüßt einander im Fahrstuhl – selbstverständlich auch die Reinigungs-Fee, deren Tätigkeit einem unschätzbare Annehmlichkeiten bereitet –, reicht Menschen, mit denen man nicht nur den Sitzungsraum teilt, die Hand und schenkt ihnen ein Lächeln, lässt unbekannte Neukontakte durch Visitenkarte wissen, auf wen in welcher Kompetenz sie treffen, und versucht auch sonst, ein angenehmer Zeitgenosse zu sein, mit dem man gerne zu tun hat.
Herablassung dagegen erhöht nicht den Status – sondern stört die menschliche Beziehung
Und auch die Richtung des Duzangebotes bleibt hierarchisch, wobei unter Gleichgestellten das Alter den Ausschlag gibt: Bei Positionen auf Augenhöhe ist es auch heute noch die oder der Ältere, welche(r) dem oder der Jüngeren das Du anbietet. Das wird jene(r) spätestens dann verstehen, wenn er sich später für berufliche Errungenschaften und die Reife seiner Erfahrung selbst Wertschätzung wünscht. Rituale helfen also, das stilistische Durcheinander zu entwirren.
Das Auftreten im (Geschäfts-) Alltag ist von größerer Bedeutung als sich manche vorstellen wollen. Denn es formt die Beziehungs-Stränge, aus denen Karrieren geflochten werden.